UNDERGROUND EMPIRE 7-Datasheet |
Contents: VANDEN PLAS-Interview |
Date: 10.05.1994 (created), 30.07.2021 (revisited), 01.11.2024 (updated) |
Origin: UNDERGROUND EMPIRE 7 |
Status: published |
Task: from paper to screen |
Availability: original printed issue sold out! Several earlier issues still available; find details here! |
Comment: VANDEN PLAS waren wohl die Band, die ich so hautnah wie keine andere verfolgen konnte. Schließlich lernte ich die Band frühzeitig kennen, da Gitarrist Stephan ein Schulkollege von mir war. Daher war es erfreulich, daß wir mit dieser Story die Band bei einem wichtigen Karriereschritt erlebten: den Übergang vom Demostadium zum ersten Album. Dementsprechend war die Story auch dreiteilig gestaltet: Die erste Seite stand unter der Überschrift "Jesus & Rocky Horror...", wo vor allem die damals schon gestartete Karriere an diversen Opernhäusern thematisiert wurde. Interessant sind dabei vor allem, daß ich im Hinblick auf die kommende Karriere als Rockmusical-Erschaffer einige sozusagen hellseherische Fragen gestellt hatte. Die zweite Seite mit der Überschrift "...und in der Zwischenzeit" wurde besprochen, was sich bei VANDEN PLAS seit dem Interview in UNDERGROUND EMPIRE 1 abseits des Theaters abgespielt hatte. Außerdem befand sich auf dieser Seite am unteren Ende das Photo, bei dem es sich in jeder Auflage um ein Livephoto handelte; leider sollten jedoch beide in der gedruckten Schwarzweißversion nicht besonders toll aussehen (vor allem das hier am Ende der Story zu sehende Photo, das in der zweiten Auflage verwendet wurde, stellte in der gedruckten Ausgabe allenfalls einen netten Effekt dar. Ergo: Die Online-Version hat klare Vorteile, da die Photos besser aussehen. Dennoch haben wir hier noch das offizielle Promophoto dazupackt, das zur Veröffentlichung von »Colour Temple« via Plattenfirma entstand. Auf der dritten Seite waren wir dann "Zu Besuch im Colour Temple": Es ging um das anstehende erste Album, das die Band in Eigenregie aufnahm. Nicht wenig stolz können wir verkünden, daß im Booklet ein UNDERGROUND EMPIRE-Flyer abgedruckt war. Dafür hatte die Band im Tausch eine Seite Anzeige erhalten. Übrigens gab es von »Colour Temple« eine zweite Auflage, die die Band veröffentlicht hatte, bevor dann der Deal mit DREAM CIRCLE RECORDS respektive CNR MUSIC in Frankreich und FAR EAST METAL SYNDICATE in Japan Wirklichkeit wurde. Ihr könnt die Erstauflage übrigens an dem UNDERGROUND EMPIR-Flyer erkennen, da er in der zweiten Auflage nicht mehr auftauchte. Über jeder Seite war eine Kombination des Logos und des darübergelegten Titels zu sehen. Als weiteres optisches Element hatten wir die Figur vom Cover auf der ersten Seite und der dritten Seite unter den Text gelegt - und zwar im zweiten Fall in der invertierten Version. Sah irgendwie schick aus, diese komplette Story. |
Supervisor: Stefan Glas |
Dreigeteilt präsentiert sich die Story über die Band VANDEN PLAS, weil sich bei ihnen so viel ereignet hat, daß man den Interviewmarathon mit Andy (v), Stephan (g) und Thorsten (b) von fast drei Stunden in einzelne Etappen unterteilen muß. Eröffnet durch eine eher als Gag gedachte Frage führte eben diese uns mitten in den ersten Themenblock hinein, der auch Klarheit über obigen Titel verschafft. Dazu als Erklärung vorausgeschickt, muß gesagt werden, daß VANDEN PLAS in der letzten Zeit Engagements bei Rockmusicals hatten.
Was hat es zu bedeuten, daß drei der VANDEN PLAS-Musiker sich plötzlich Bärte wachsen lassen?
Stephan: "Der Kleine Horrorladen", bei dem wir derzeit am Pfalztheater in Kaiserslautern mitwirken, spielt in der Pennerszenerie der Fünfziger Jahre, und die Band sollte dabei in die Bühne mitintegriert werden. Daher sollten wir in zerlumpten Klamotten mit einem angeklebten Bart auftreten, was uns tierisch gestört hat. Daher haben wir die Klamotten gleich mal ganz boykottiert, und statt vor jedem Auftritt in die Maske zu rennen, haben wir uns einfach Bärte wachsen lassen.
Optimal! Damit sind wir direkt beim Thema. Wie kommt man als Metal-Band dazu, bei einem Rockmusical mitzuspielen, was zweifelsohne mehr als ungewöhnlich ist?
Andy: Letztendlich hat es schon vor vier Jahren am Pfalztheater in Kaiserslautern angefangen. Ich hatte guten Kontakt zum Intendanten und zu einem der Hauptdarsteller der "Rocky Horror Show", so daß ich die Chance kriegte mitzuspielen. Der Punkt ist, wenn man einmal im Theater etwas gemacht hat und einigermaßen gut war, dann hat man die Chance, immer wieder reinzukommen. Etwa zwei Jahre später hatte ich die Idee, mal wieder etwas ähnliches zu probieren. So erfuhr ich durch die Person, die mir schon den Job am Pfalztheater besorgt hatte, daß am Staatstheater Saarbrücken, wo er nun tätig war, "Jesus Christ Superstar" gespielt wird. Ich wollte mich ohnehin schon in Saarbrücken bewerben, hatte aber das Entré nicht, ohne das nichts laufen konnte. Ich hätte beispielsweise können zehnmal besser sein, aber ohne das Entré hätte ich noch nicht mal ein Vorsingen gekriegt. So aber kriegte ich ein Vorsingen und wurde genommen. Ich konnte dann VANDEN PLAS mitreinziehen, da noch eine Band gesucht wurde, die live mitspielt. In Kaiserslautern lief es ähnlich, und dank der Lorbeeren, die wir in Saarbrücken abgesahnt hatten, war es nun ganz einfach. Ich erfuhr, daß "Der Kleine Horrorladen" in Planung war, und darauf hatte ich schon immer Bock, weil ich den entsprechenden Film so genial fand. Also ging ich frech zum Intendanten, um anzufragen, ob er schon eine Pflanze (im »Kleinen Horrorladen« spielt eine fleischfressende Pflanze eine entscheidende Rolle - Red.) habe und - siehe da - es fehlten ihm sowohl eine Pflanze als auch eine Band. Er hat dann vermutlich in Saarbrücken über uns nachgehorcht, und ohne großartig etwas von uns gehört zu haben, engagierte er uns. Wie man sieht, geht es in dieser Branche fast nur auf Empfehlung. So habe ich gerade einen Anruf aus Wiesbaden gekriegt, die mich für zwei Vorstellungen als Pflanze haben wollen. Wäre ich einfach so nach Wiesbaden gegangen, hätte ich mit Sicherheit noch nicht mal ein Vorsingen gekriegt! Wenn man da also mal drin ist und Leistung bringt, hat man es viel leichter!
Stephan: Vielleicht noch ganz witzig zu erzählen, ist daß der Dirigent, der musikalische Leiter und die Chefdramaturgin zu uns in den Proberaum kamen, um die Band zu hören und wir haben nur eigene Lieder gespielt, woraufhin wir genommen wurden, ohne daß wir etwas aus "Jesus Christ" gespielt hatten.
Wie ist es eigentlich, als Metal-Band plötzlich mit klassischen Musikern zusammenspielen zu müssen. Ich kann mir vorstellen, daß da einiges doch deutlich anders läuft!
Thorsten: Die verschiedenen Einstellungen, die zutagetraten, haben mich sehr überrascht! Wir haben uns voll dahintergeklemmt und waren uns nie zu schade, auch mal zwei Stunden länger zu proben. Im Gegensatz dazu standen dann die klassischen Musiker, die beamtete Musiker sind und nie bereit waren, länger als vorgeschrieben zu proben und teilweise sogar mit der Gewerkschaft drohten. Als Andreas und ich die erste Probe mit dem Orchester hatten, war ich sehr gespannt, was uns erwartet und letztendlich war ich von den Orchestermusikern wirklich enttäuscht, denn sie hatten sich kein bißchen auf die Probe vorbereitet. Sie kriegten ihre Noten, die Sachen wurden probiert, und wenn's nicht geklappt hat, war das auch nicht so schlimm. Man hat also seine zwei Stunden abgerissen und ist wieder nach Hause gegangen.
Stephan: Für uns war das alles etwas ganz Besonderes, und wir wurden super aufgenommen. Aber es herrschte ein ganz andere Mentalität als bei uns, wenn wir live spielen. Da gibt es um Punkt 10.00 Uhr ein "drei, vier", und dann geht es los, egal, ob man dann beispielsweise seinen Verstärker noch nicht angeschlossen hat. Außerdem hat man eine viel größere Verantwortung, denn wenn bei einem unseren Gigs einer mal rauskommt, sind wir gut genug aufeinander eingespielt, daß wir das abfangen können. Ganz anders in diesem Fall. Wenn man da danebenlag, schoß man auf einen Schlag zwanzig Mann raus.
Andy: Die Orchestermusiker sind teilweise sehr unflexibel. Ich sag' das als Außenstehender, der ich das von der Bühne her mitgekriegt habe. Der Dirigent hat der Band ein riesiges Kompliment gemacht, weil sie teilweise schon Vorstellungen gerettet hatten, wenn sich einer Orchestermusiker verhaspelt hat und rauskam. Da wäre keiner der Orchestermusiker instande gewesen zu reagieren, und stattdessen hat die Band reagiert, wie wir das eben auch bei unseren Liveauftritten machen, und den ganzen Verein wieder ins Timing gebracht.
Man kann also sagen, daß die Orchestermusiker perfekte Maschinen waren, ja?
Andy: Ja! Dazu hab' ich auch noch eine Story! Bei der ersten Chorprobe zu "Jesus Christ" drückte man mir Noten in die Hand, und ich sagte, "Ich brauche keine Noten, weil ich keine Noten kann". Daraufhin hat alles gelacht, weil sich keiner vorstellen konnte, daß am Theater etwas ohne Noten gemacht wird. Also fragte mich der Dirigent, wie ich mir das vorstellen würde, und ich sagte, "Ich singe es ihnen einfach vor, wie ich es mir denke, und wenn es ihnen nicht gefällt, dann singen sie es mir zweimal vor, und dann habe ich das im Kopf!" Auch das war für alle anderen Musiker einfach unglaublich gewesen.
Stephan: In Kaiserslautern beim "Kleinen Horrorladen" ist die Situation wieder etwas anders, weil wir da allein ohne Orchester spielen. Lediglich der musikalische Leiter hat sich da voll bei uns integriert und sich darauf eingeschossen wie wir spielen, wie wir reagieren, etc.
Das nächste Engagement ist nun die "Rocky Horror Show" in Saarbrücken, in der jedoch nur Du, Andy, mitwirken wirst!
Andy: Das beginnt im September. Die Gruppe hatte auch ganz gute Chancen gehabt, aber weil man Geld sparen wollte, hat man stattdessen ein Band gekauft, das damals auch in Kaiserslautern genommen wurde und damals gut funktioniert hat.
Ihr habt in diese Theatergeschichte eine Menge Zeit und Energie investiert. Was hat Euch die Geschichte gebracht, außer daß es ein wirklich ganz besonderes Erlebnis war, bei dem Ihr zudem nicht schlecht Geld verdient habt?
Andy: Uns hat das musikalisch und an Professionalität so sehr weitergebracht, daß wir die Zeit, die wir letztendlich verloren haben, durch die gesteigerte Effektivität, mit er wir nun zu arbeiten gelernt haben, schon längst wieder herausgeholt haben. Außerdem haben wir musikalisch ein ganz anderes Spektrum gekriegt, ebenso wie wir uns an ganz andere Sachen heranwagen mußten und dabei feststellten, daß man es kann, wenn man es muß!
Stephan: Man wird so aufs Timing geschult, daß es jedem von uns wahnsinnig viel gebracht hat. Man kann in der Musik durch Effektgeräte so viel verheimlichen, aber so etwas ist am Theater total verpöhnt. Ich durfte beispielsweise noch nicht mal viel Verzerrung spielen oder durfte kein Delay einsetzen, weil jeder Ton klar kommen muß. Wenn das nicht der Fall war, hat der Dirigent sofort gesagt, daß er nicht heraushören kann, was ich spiele. Wir wurden also gezwungen, präzise zu spielen.
Andy: Mittlerweile lege ich im Proberaum Wert darauf, auf den Gesang und die Chöre keine Effekte zu legen, weil man nur dann heraushören kann, ob man im Tune singt oder nicht. Ein weiterer Punkt ist, daß man aufgrund der professionellen Arbeit am Theater geschult wurde, sich genauer auszudrücken und zu sagen, was man will.
Man kann sich im Theater nicht erlauben, mehrmals hintereinander schlecht zu sein, denn dann wird man gefeuert. Außerdem muß man teilweise auf den Punkt da sein. Man wird also geschult, Höchstleistungen zu bringen. Man eignet sich etwas andere Gesangstechniken an, indem man hört, wie andere sich einsingen. Mir wurde außerdem bewußt, wie wichtig es auch für unsere Musik ist, sich vor einem Konzert einzusingen, weil man ansonsten bei den ersten Liedern niemals fähig ist, gewisse Töne mit dem notwendigen Volumen zu singen.
Stephan: Was mich ebenso sehr fasziniert hat, ist die Mentalität, die unter den Künstlern zutagetritt. Wieviel offener da miteinander umgegangen wird. Die Hauptdarstellerin vom "Kleinen Horrorladen" war bei einem unseren Konzerte und fand es super, obwohl sie noch nie solche Musik gehört hatte. Sie sagte, daß sie am meisten davon fasziniert war, wie wir uns auf der Bühne verhalten, daß also neben dem Spielen auch noch Action und Bewegung angesagt sind.
Mir spukt seit einigen Minuten ein Gedanke durch die Hirnwindungen, mit dem ich Euch nun konfrontieren möchte: Schreibt die Band VANDEN PLAS eines Tages mal ein Rockmusical?
Andy: Das ist einer meiner Träume! Es gab sogar Überlegungen, ob man »Colour Temple« als Musical oder Rockoper aufführen kann. Ich ließ die Sachen der Choreographin und dem Regisseur vom "Kleinen Horrorladen" vorlaufen, die sich das gut vorstellen konnten. Aber letztendlich ist »Colour Temple« nicht in der Stilart geschrieben, wie es bei einem Rockmusical sein müßte. Aber vielleicht werden wir eines Tages wirklich so etwas machen. Die Idee existiert aber auf jeden Fall!
Gesetzt der Fall, die Band VANDEN PLAS schafft es mit ihrer eigenen Musik nicht. Könntet Ihr Euch vorstellen, Euch stattdessen als "klassische Rockmusiker" zu spezialisieren?
Andy: Ja, das könnten wir uns sicher vorstellen, aber es würde dann sicher die Idee, ein eigenes Rockmusical zu schreiben, dominieren. Ich, als Interpret, könnte mir eine solche Tätigkeit jedoch nur mit vielen ganz verschiedenen Rollen, in denen ich völlig unterschiedliche Charaktere spielen könnte, vorstellen. Das würde mich schon etwas reizen!
Ihr steht eines Tages in der Zwickmühle, daß Ihr zeitgleich einen Deal von einer Plattenfirma angeboten kriegt, und außerdem habt Ihr gerade Euer Rockmusical, mit dem wir geistig schon die ganze Zeit über rumjonglieren, fertig und kriegt nun die Chance es aufzuführen. Wofür entscheidet Ihr Euch?
Andy: Ich glaube, da müßte keiner überlegen! Letztendlich ist unsere Musik das Wichtigste, so daß wir uns für unsere eigene Schiene entscheiden würden und zwar auch dann, wenn sich durch das andere mehr Geld verdienen ließe!
Hat man bei soviel Theater überhaupt noch Zeit für das Bandleben, werdet Ihr Euch fragen! Oh ja, mehr als man sich vorstellen würde, denn VANDEN PLAS haben in den letzten Jahren eine Menge verhext. So hakte ich einfach an dem Punkt ein, der beim Interview in UNDERGROUND EMPIRE 1 aktuell gewesen war.
Damals, vor mittlerweile fast fünf Jahren, hattet Ihr die Pre-Production für Euer geplantes Debut in Arbeit, und im Grunde sah alles super aus, aber letztendlich wurde doch nichts daraus. Warum?
Stephan: Zunächst einmal muß ich klarstellen, daß wir noch nicht bei der Vorproduktion waren, sondern daß die Aufnahmen nur Arbeitstapes für uns waren. Unser damaliger Manager hatte den Kontakt zu der Plattenfirma blockiert, so daß sich die Sache zerschlagen hat, und am Schluß hat er uns noch um Geld betrogen. Wir waren damals sehr naiv, haben aber dadurch sehr viel dazugelernt. Es gab dann nochmal eine Episode mit einem anderen Manager, bei der wir jedoch auch enttäuscht wurden, so daß wir heute alles selbst in der Hand halten.
Wollen wir uns aber nicht zu sehr in der Vergangenheit aufhalten, sondern beim »Days Of Thunder«-Demo, welches später noch in remixter Form als Maxi-CD unter dem Titel »Fire« erschien, weitermachen, welches man durchaus noch als "halbaktuell" bezeichnen kann! Beschreibt doch als erstes mal den musikalischen Weg von VANDEN PLAS seit jener nicht wahrgewordenen Platte über »Days Of Thunder« bis nun hin zu »Colour Temple«! Ich sehe da eine konsequente Entwicklung!
Stephan: Von den sechs Musikern aus der Formation von vor fünf Jahren sind heute noch drei dabei, die immer den gleichen Geschmack hatten, aber die anderen hatten musikalisch nicht so recht dazugepaßt. So spielen Andy, mein Bruder Andreas und ich zwar schon seit zehn Jahren zusammen, aber eigentlich kristallisierte sich die Musik, die wir heute machen, erst raus, nachdem wir zu unserem jetzigen Line-up fanden.
Andy: Man muß aber auch sagen, daß es sich gegenseitig befruchtet. In der Zwischenzeit hatten uns Frank Rummler von JUICY LUCY und Markus Gfeller, der heute bei AXXIS spielt, als Bassisten ausgeholfen. Es waren zwei super Musiker, die uns muskalisch so viel mitgegeben haben, daß wir erst dadurch auf ein Level kamen, das überhaupt erst ermöglicht hat, daß wir das machen können, was wir heute machen! Man sagt heute oft, daß wir mystische Musik machen. Aber mystische Musik machen zu wollen und wirklich zu machen, sind zwei Paar Schuhe. Wir wollten schon damals mystische Lieder schreiben, haben es aber einfach nicht gekonnt! Der Heavyteil von Stephan und die Mystik von meiner Seite waren schon immer da, aber wir haben es früher nie geschafft, beides auf einen Nenner zu bringen und konnten es einfach nicht ausdrücken. Jetzt sind wir endlich an einem Punkt angelangt, an dem es für jeden super ist und die Stücke so klingen wie sie uns gefallen.
Stephan: Wichtig ist, daß wir seither nur noch mit einer Gitarre arbeiten, was mehr Freiheit bedeutet. Außerdem kam Günter als Keyboarder dazu, der ein super Musiker ist und Musikwissenschaften studiert. Thorsten, unser neuer Bassist, der ein ganzes Stück jünger ist, bringt Einflüsse von viel härterer Musik mit und gibt unserer Musik etwas Frisches. Zudem spielt er gleichzeitig Schlagzeug, was natürlich für die Zusammenarbeit in der Rhythmusgruppe sehr fruchtbar ist.
Thorsten, Du spielst gleichzeitig bei der Death Metal-Band ODIOUS Schlagzeug. Wie paßt das zusammen?
Thorsten: Ganz gut, denn ich höre ohnehin nicht nur Death Metal, sondern eigentlich alles. Death Metal macht allerhöchstens 20 Prozent aus. Außerdem höre ich dabei nicht diesen Hau-Ruck-Death Metal oder die Sachen, die mittlerweile schon in MTV breitgetreten werden, sondern eher die verspielten, anspruchsvollen Gruppen, wie beispielsweise CYNIC. Daher ist es nicht so weit weg wie man denkt.
Stephan: Würden wir heute noch ausschließlich Sachen wie ›Fire‹ machen, dann würde es Thorsten bestimmt nicht gefallen, aber wir haben mit ihm die Entwicklung von diesen einfacheren Sachen zu unserer jetzigen Musik durchgemacht. Wenn ich mir ODIOUS anhöre, dann haben sie vom Prinzip her eine ähnliche Struktur in den Liedern, nur, daß sie viel härter sind, während wir alles melodischer gestalten. Viele ihrer Lieder enthalten zum Beispiel auch längere Instrumentalparts, die total abgehen, in denen nur Riffs gespielt werden. Solche Instrumentalteile findet man auch bei uns in fast jedem Lied, nur daß wir stattdessen einen schönen Soundteppich machen.
Letztendlich hat sich also in Eurer Musik eine Menge verändert!
Stephan: Im Endeffekt muß ich sagen, daß ich unheimlich froh bin, daß wir endlich die Musik machen, die ich schon immer machen wollte, die Musik, die ich auch schon immer gehört habe. Jetzt haben wir die Leute zusammen, mit denen diese Entwicklung möglich war. Okay, wir sind sicherlich sehr verschieden. Thorsten kommt von härteren, Andy eher von weicheren Sachen, Günter spielt in den Proben manchmal ganz abstruse Sachen, die er auf der Uni gehört hat, usw., aber im Endeffekt harmonieren wir miteinander und stehen alle hinter dem Stil, den wir heute spielen.
Schon mehr als einmal ist der Begriff »Colour Temple« gefallen, und jetzt wollen wir ihm auch noch einen Besuch abstatten. Was also ist der mysteriöse »Colour Temple«? Die Lösung ist denkbar einfach, denn »Colour Temple« ist die gerade erschienene CD von VANDEN PLAS, die wir nun zum Abschluß unter die Lupe nehmen wollen.
Erzählt uns doch bitte etwas zur Entstehung von »Colour Temple«!
Andy: Der »Colour Temple« hat sich über zwei Jahre entwickelt. Drei Titel sind schon so alt wie »Days Of Thunder«, und der Rest hat sich dazugesellt. Jedoch paßten sich »Back To Me«, »Push« (welches damals noch »Love Will Find A Way« hieß - Red.) und »Winds Blows« an den zeitgemäßeren Sound, den wir im Lauf der Jahre entwickelt haben, an. Das Konzept ist erst entstanden, nachdem sich ein Sänger Gedanken über die wirklichen Texte machte. Wenn eine CD ansteht, macht sich jeder zu seinem Part seine Gedanken und verfeinert ihn. Es war wirklich gravierend, was sich bei uns in dieser Hinsicht an den Stücken im letzten halben Jahr geändert hat, obwohl sich im Konzept des Liedes nichts geändert hat. Die Texte haben sich die ganze Zeit über verändert, und ich stehe nach wie vor dazu, daß ich, wenn ich einen anderen Eindruck bekomme, den Text auch wieder verändern werde. Es kann also sein, daß ich irgendwann etwas zeitgemäßeres schreibe. Kurz vor den Aufnahmen von »Colour Temple« reiften die Texte also zu dem, was man nun auf der CD hören kann. Die Texte standen zu 80 Prozent und die 20 Prozent, die die Nuancen gesetzt haben und alles für jeden, der dies will, verständlich machen, kamen erst im letzten halben Jahr hinzu. Aufgrund der Texte entstand auch die Idee »Colour Temple«. »Colour Temple« ist relativ neutral, hört sich gut an und ist ein Überbegriff für das Ganze. Für meinen Begriff haben alle Texte mit Menschlichkeit zu tun, und Menschlichkeit hat für mich einen ganz großen Bezug zu Seele und Herz. Eine CD jedoch "The Heart" zu nennen wäre banal. Daher haben wir es, wie auch in den Texten gehandhabt, statt es auf den Punkt zu bringen, mit Bildern, die wir versuchen, mit Worten zu malen, auszudrücken versucht. Metaphorisch eben. »Colour Temple« hat zwei Aussagen. Wenn ich "Tempel" höre, dann fühle ich mich zum einen heimisch, und zum anderen hat es für mich etwas mit Gebet, mit Glauben, zu tun. Um diese Thematik geht es sehr viel auf der CD, um Glauben, aber auch um Nichtglauben. Es wird nie mit dem Zeigefinger aufgefordert, an Jesus zu glauben, sondern ist immer ein Infragestellen und letzten Endes eine Hoffnung und ein Wegweiser. Auch wenn ein negativer Sachverhalt beschrieben wird, so hat es doch immer eine positive Aussage. "Colour" kommt daher, daß ich in den letzten Monaten unheimlich viele Farben geträumt habe. Für mich hat Farbe nicht nur mit etwas Visuellem zu tun, sondern auch mit Schwingungen, die wiederum etwas Gutes oder etwas Böses sein können, ebenso wie auch ein Tempel. In Kombination kann der »Colour Temple« eine negative Glaubensstätte, aber auch ein positiver Aberglaube sein. So werden in den Texten Themen ausgegriffen, die manche Leute positiv, andere negativ sehen und werden von verschiedenen Seite aus beleuchtet. Niemals mit einem Fingerzeig, sondern immer für jeden Betrachter für eigene Interpretationen offen lassend.
Laßt uns doch konkret werden und dies anhand einzelner Textbeispiele erläutern!
Andy: Der Text zu ›Anytime‹ hat die Band unheimlich beschäftigt. Er handelt vom Schicksal der sechsjährigen Chary Weber, die vergewaltigt und umgebracht wurde. Für mich wurde diese grausame Tat durch das Visuelle noch verstärkt, denn das Mädchen war Mulattin, war extrem hübsch und ganz toll anzusehen. Daher wirkte es für mich noch viel schlimmer! Es war damals ein vierzehntägiges Bangen und Hoffen, während man nach dem Mädchen suchte, an dem ich teilgenommen hatte, bis die schreckliche Wahrheit ans Tageslicht kam. Der Täter wurde gefaßt, und es stellte sich heraus, daß er drei Jahre zuvor ein ähnliches Verbrechen begangen hatte und wegen dieses Delikts in psychiatrische Behandlung gekommen war. Aus dieser wurde er aufgrund irgendwelcher Gutachten entlassen. Meines Erachtens hätte dieser Mord nicht passieren müssen, wenn sich die betreffenden Gutachter darüber einig gewesen wären, daß dieser Mann hätte wieder etwas ähnliches tun können. Ich erzähle die Geschichte aus einem Blickwinkel, den ich im Grunde überhaupt nicht beurteilen kann, weil ich die individuelle Situation nicht kenne. Ich habe dennoch diesen Blickwinkel gewählt, weil ich mich in ihn am besten reindenken kann und erzähle daher aus der Sicht des Vaters.
Ein anderer Titel, der mir sehr am Herzen liegt ist ›Soul Survives‹. Wenn man den Titel hört, denkt man sofort an Wiedergeburt, aber der Text handelt in Kombination ebenso von der Zerstörung der Erde. Ich versuche beim Texten immer zwei- oder dreischichtig zu denken, weil mir viele Dinge gleichzeitig im Kopf herumgehen. Der Text behandelt den Punkt, an dem wir die Erde so weit vernichtet haben, daß nur noch wenige Menschen überlebt haben. Wenn man nun an Wiedergeburt und Seelenwanderung glaubt, stellt der Text die Frage, wo die Seelen hingehen, wenn es nicht mehr genügend Hüllen für sie gibt.
Bei ›Back To Me‹ geht's nicht um einen speziellen Krieg, sondern um Kriege generell und um die Angst, im Krieg jemand seiner nächsten Angehörigen zu verlieren.
Stephan: ›Father‹ ist einer von Andys Texten, der mir sehr gut gefällt, weil er wie ein Gebet aufgebaut ist. Nicht die Aufforderung zum Beten, sondern wie jemand aus Verzweiflung an irgendetwas fleht. Das muß nicht Gott, Allah oder Buddha sein, sondern einfach die höhere Macht, an die derjenige glaubt. Jeder glaubt an etwas Anderes, aber im Prinzip sagt jeder das Gleiche, in einer anderen Sprache, auf eine andere Art, aber letztendlich meint doch jeder das Gleiche. So kann jeder mit diesem Text etwas anfangen!
Andy: Wir wollen daher nicht so konkret werden, sondern es ist uns wichtig, daß jeder Hörer sich miteinbringen kann und für sich seine eigene Wahrheit aus den Texten herausziehen kann.
›Push‹ will ich noch herausgreifen, das von Rassendiskriminierung handelt. Es geht um zwei Outlaws verschiedener Hautfarbe, die beide gleich schlecht sind, wobei jedoch der eine als noch schlimmer angesehen wird, nur weil er ein Schwarzer ist, obwohl der weiße Outlaw das gleiche verbrochen hat.
Mich hat besonders ›Judas‹ beeindruckt, in dem Du sagst, daß Du in Dir selbst immer wieder den Judas ertappst! Du sagst also, daß jeder zu einem gewissen Prozentsatz selbst ein Judas sein kann.
Andy: Es geht hierbei nicht so sehr um den geschichtlichen Judas, sondern der Name soll eher symbolhaft für negative Erfahrungen, die ich mit anderen Menschen gemacht habe, stehen. Zu gewissen Zeitpunkten, in gewissen Situationen kann jeder ein Judas sein. Wobei Judas nicht nur ein Böser ist, wie man anhand der biblischen Geschichte sieht, sondern er war vor allem ein Fanatiker, der oftmals zum Bösen getrieben wurde.
Es gibt eine interessante Story zum Cover von »Colour Temple«, die Ihr mal erzählen könntet!
Stephan: Als Andy sich für den "Kleinen Horrorladen" beim Intendanten des Pfalztheaters Kaiserslautern vorstellte, sah er in seinem Büro eben diese Skulptur des italienischen Künstlers Cesare Marcotto, die nun unsere CD ziert. Die Figur heißt bei Cesare "Der Mann, der aus der Wand kommt", während wir eigentlich immer vom "Tänzer" sprechen. Es handelt sich um eine Styrophorskulptur, die aus einer schwarzen Wand rauskommt. In der Figur kann man so viele verschiedene Sachen entdecken. Der eine Arm beispielsweise ist so angewinkelt, daß man einen Adlerkopf darin entdecken kann. Am Körper meint man eine herumkriechende Schlange zu sehen. Dreht man das Cover, sieht man eine Teufelsfratze mit Hörnern, und es sind noch viele andere Dinge drin, die man entdecken kann. Andy sah diese Figur, fand sie sofort super, und ihm war klar, daß sie ideal für unser Cover ist. Auch wir haben nämlich ganz verschiedene Texte, die aber im Prinzip ein Grundgerüst haben, genauso wie sich im Tänzer ganz verschiedene Ansichten zu einem Gebilde zusammenfügen. Cesare hat uns gestattet, sein Kunstwerk kostenlos zu verwenden, wofür wir ihm unendlich dankbar sind, so sehr, daß wir eine Danksagung ins Italienische übersetzen ließen und in der CD abgedruckt haben.
Andy: Eigentlich kannte keiner von uns Cesare. Eines Tages stand jemand vor mir im Gondrophon, wo ich arbeite, hat unsere CD in der Hand und fragte mich, welche Musik das sei. Ich sagte, daß das die neue CD von uns sei und daß er sie sich gerne anhören könne. Da fragte er mich, "Kennst Du den Künstler, der die Skulptur gemacht hat?", und ich antwortete, "Nein! Zumindest nicht persönlich!", woraufhin der Typ sagte, "Jetzt kennst Du ihn auch persönlich!", und mir die Hand hinreichte. Es war ein wahnsinniges Glücksgefühl für mich, eben den Künstler zu kennen, der uns unbewußt unser Cover gemacht hatte.
Welche Erwartungen setzt Ihr in »Colour Temple«?
Andy: Meine Erwartungen an »Colour Temple« sind im Grunde schon erfüllt! Bei allem anderen ist mir mittlerweile bewußt, wie sehr es mit Protegierungen, Marktstrategien, etc. zusammenhängt. Wenn wirklich mehr mit »Colour Temple« passieren wird, dann wird es sehr viel mit Glück zu tun haben, aber das Glück kann man nur haben, wenn man wirklich ein gutes Produkt zu bieten hat. Und ich bin so vermessen zu sagen, daß »Colour Temple« alles hat, was dieses Glück herausfordert. Auf jeden Fall, und so vermessen bin ich ebenfalls, wird in eineinhalb bis zwei Jahren die nächste CD erscheinen und meines Erachtens in der gleichen Besetzung.
Da kann ich mich nur mit dem Ausdruck meiner Hoffnung, daß dies wirklich der Fall sein wird, anschließen. »Colour Temple« ist nicht nur ein phantastisches Album geworden, sondern ein rundes, in sich abgeschlossenes Bild. Die unerlässliche, phantastische Musik der Marke "viel Power, sehr melodisch und leicht progressiv mit Drive und Energie gespielt" allein macht VANDEN PLAS international konkurrenzfähig. Besonderes Plus ist natürlich der ausdrucksstarke Gesang von Andy, der für mich mittlerweile zur absoluten Elite der Heavy-Organe gehört, womit natürlich nicht das gewandte Spiel der anderen vier VANDEN PLAS-Musiker in Frage gestellt werden soll! Eine druckvolle und durchsichtige Produktion sorgt dafür, daß vom vorhandenen Potential auf dem Weg zum Hörer nichts verlorengeht. Es folgen die unendlichen Texte, in die man sich zu einer Schatzsuche versenken kann, ohne daß man penetrant dazu genötigt werden würde. Aber auch solch' kleine Details wie die abgedruckten Photos, die man zunächst mal als undeutlich und verschwommen klassifizieren mag, bei denen aber schon nach kürzester Zeit deutlich wird, welch brillantes Farbspiel darauf schillert. Das i-Tüpfelchen ist das fesselnde Cover, zu dem mein Blick immer wieder wandert und meiner Fantasie immer neue Ideen einflüstert. Formvollendet und unausweichlich! Es wundert mich nicht, daß die erste Tausenderauflage bereits ausverkauft ist, so daß die CD nachgepresst werden mußte. Einer der besten unsigned Tips der letzten Jahre - mit UNDERGROUND EMPIRE-Garantie! Für 30,- DM + 3,- DM Porto könnt auch Ihr der stolze Besitzer eines solchen Meisterwerkes werden.
Somit nicht nur die Fokussierung auf eine herausragende Veröffentlichung und die Abklärung der Entwicklungsgeschichte, sondern auch das Gespäch rund um eine andere Welt, in die wir mit VANDEN PLAS eintauchen durften, um interessante Aspekte zu entdecken. Auch wenn so viele Fragen an diesem Abend ungefragt blieben und von dem, was gesagt wurde, so vieles ungeschrieben bleibt, ende ich nun zufrieden, mit der Hoffnung einer bestechenden Band einen kleinen Kick nach vorne gegeben zu haben und Euch auf die Fährte eben der selben gebracht zu haben.
Photos: Michael Raka Weckerle [Photo 1], Stefan Glas [Photo 2 & 3]