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Contents: DREAM THEATER/VANDEN PLAS - "Paris - London"-"Tourtagebuch"-Artikel |
Date: 21.12.1997 (created), 11.07.2022 (revisited), 20.09.2023 (updated) |
Origin: HEAVY, ODER WAS!? |
Status: published |
Task: from paper to screen |
Comment: 2 come
Da bei den bereits im UNDERGROUND EMPIRE online veröffentlichten Artikeln bei der Portierung der HEAVY, ODER WAS!?-Seiten nur ein kleines Thumbnail der HOW-Story zu sehen ist, von dem aus man zu der bereits veröffentlichten, meist umfangreicheren Version gelangt, soll diese kleine Graphik im Falle einer noch nicht online zu findenden Story nun hier auftauchen:
Für das Tourtagebuch gab es übrigens eine überraschende Zweitverwertung, die ohne mein Zutun entstand: Das französische HARD ROCK-Magazin hatte VANDEN PLAS um einen Tourreport gebeten, der dann in der Ausgabe vom Februar 1998 erschien. Daher fragte VANDEN PLAS-Sänger Andy Kuntz, ob er meinen Artikel als Basis für den Beitrag für das HARD ROCK-Magazin benutzen könne. Letzten Endes verwendete er meinen kompletten Text, zu dem er an mehreren Stellen persönliche Statements einfügte. Außerdem wurden meine Photos verwendet; lediglich mein hochgeschätzter Kollege Marc Villalonga schoß noch das Aufmacherphoto, auf dem von DREAM THEATER James LaBrie, Derek Sherinian und Mike Portnoy, von VANDEN PLAS Andy Kuntz und Stephan Lill zu sehen sind. Erstaunlich, daß das DREAM THEATER-Management solch einen Aufstand geschoben hatte, als ich ein ähnliches Photo mit der kompletten Tourcrew machen wollte... |
Supervisor: Stefan Glas |
DREAM THEATER/VANDEN PLAS
✈ "Paris - London" ✈
Prolog
🚌 Während DREAM THEATER in ihrer Heimat fleißig proben, um sich auf ihren kleinen Abstecher nach Europa vorzubereiten, bereisen VANDEN PLAS zusammen mit ihren Kollegen SUPERIOR unser Nachbarland Frankreich. Das Highlight der Tour findet in Paris im "Café de la danse" statt. Direkt neben der Bastille gelegen, entpuppt sich das Café als ein steinalter Bau im Stile eines Amphitheaters, dessen Faszination man sich unmöglich entziehen kann. Am Abend ist die prächtige Konzertarena bis auf den letzten Platz gefüllt, und ganz Paris feiert die beiden deutschen Bands ab, machen das Konzert zu einem unvergeßlichen Erlebnis für alle Beteiligten.
So erfolgreich diese Frankreich-Tour verläuft, wäre sie VANDEN PLAS nahezu zum Verhängnis geworden: Wie man später feststellte, drangen die Abgase des Nightliners in das Fahrzeug ein, so daß die Musiker dem lebensgefährlichen Kohlenmonoxid ausgesetzt waren. Während die meisten Passagiere deswegen mit Übelkeit und Schwindel zu kämpfen hatten, wirkte sich bei VANDEN PLAS-Sänger Andy das Giftgas auf die Stimmbänder aus: Als VANDEN PLAS am 30. November zu ihrem ersten Gig mit DREAM THEATER in Mailand aufbrechen, hat er seine Stimme fast komplett verloren, ohne jedoch den Grund dafür zu kennen. Trotz dieser enormen psychischen Belastung schafft er es, die Show vor 8.000 Fans zu retten, indem er seinen Gesang um eine Oktave nach unten transponiert.
Am darauffolgenden Day-off konsultiert Andy seinen Stimmspezialisten in Kaiserslautern, der ihn seit vielen Jahren kennt. Der Mediziner diagnostiziert eine Kohlenmonoxidvergiftung, die eine Schwellung der Stimmbänder mit Wassereinlagerung nach sich gezogen hatte. Er legt Andy nahe, die Tour abzusagen, was für ihn jedoch nicht in Frage kommt. Mit Hilfe stärkster Tabletten schafft man es, daß die Stimme wieder einsatzklar wird, so daß Andy die Gigs in Offenbach und Den Bosch (am 2. und 3. Dezember) bestreiten kann. Zudem erhält Andy von DREAM THEATER-Sänger James spezielle Pillen für die Stimmbänder, die es nur in Amerika gibt. Dennoch ist die Stimme des VANDEN PLAS-Fronters erst in Bonn wieder wirklich stabil.
Vor diesem Hintergrund erscheint die Tatsache, daß sich VANDEN PLAS-Basser Torsten zwei Wochen vor Tourstart den Fuß gebrochen hatte, operiert werden mußte und daher gezwungen war, die komplette Tour auf einem Barhocker sitzend zu spielen, fast nur noch wie ein Detail am Rande.
In Bonn warten VANDEN PLAS mit einer guten Show auf, wenngleich Andy noch etwas zart schaumgebremst wirkt. Die Band erntet eine gute Resonanz, begeistertes Mitklatschen und wird mit spontanen Zugabe-Rufen belohnt, denen aus Zeitgründen leider nicht entsprochen werden kann.
Bei DREAM THEATER fällt sofort auf, daß die Songs von »Falling Into Infinity«, die den Löwenanteil des zweistündigen Sets ausmachen, live deutlich besser wirken, da der unpassende, quasi-alternative Sound der Tonkonserve entfällt. An diesem Abend ist ein Team des Musikkanals VIVA vor Ort, um den DREAM THEATER-Gig für ein "Metalla"-Special mitzuschneiden.
Während DREAM THEATER nach dem Konzert mit tütenweise McDonalds-Food beliefert werden, ergötzen sich VANDEN PLAS im Bus an privaten "Urlaubsvideos" und Ausschnitten aus der Harald Schmidt-Show und stimmen sich auf einen 800-Kilometer-Trip nach Dänemark ein.
Nach einer schier endlosen Fahrt und einer einstündigen Überfahrt mit der Fähre treffen wir am 5. Dezember nachmittags in der dänischen Hauptstadt ein. Nachdem die Musiker von VANDEN PLAS vergeblich nach einer Kneipe mit Premiere-TV Ausschau gehalten haben und sich daher abgeschminken mußten, live beobachten zu können, wie ihr Leib- und Magenverein 1. FC Kaiserslautern den Münchner Bayern eine Lehre erteilt, gehen die Musiker der beiden Bands und ein Teil der Crew ins Kino: "Alien 4" in Englisch (mit dänischen Untertiteln...) ist angesagt.
Den Jahrestag des Mannes mit dem langen Bart und dem dicken Sack begehen wir auf Dänisch. Dazu passend beschießt uns die nette, ältere Dame vom Catering mit Weihnachtsliedern. Auf ihrer CD befinden sich von ›White Christmas‹ über ›I Wish You A Merry Little X-Mas‹ bis zum unsäglichen ›Last Christmas‹ von WHAM! alle offiziellen akustischen Folterinstrumente der Weihnachtszeit. Es scheint fast, als hätte die Dame sich die CD selbst zusammengestellt - eine apokalyptische Vorstellung: eine Rentnerin mit eigenem CD-Brenner.
Während DREAM THEATER ihren Soundcheck durchziehen und VANDEN PLAS-Roadie Schädel die Gitarren mit alten FATES WARNING-Nummern warmspielt, studieren Stephan und Torsten von VANDEN PLAS eine neue Nummer ein, um nach der Tour einen Job als Gondoliere in Venedig annehmen zu können: Auf einem Hubwagen durchkreuzen die beiden die gesamte Halle, wobei Stephan die Funktion des Steuermannes inne hat, während Torstens Krücken einen respektablen Ruderersatz abgeben.
Die "KB Halle" in Kopenhagen zeichnet sich durch eine gewagte Architektur aus: Von außen sieht die Halle wie ein blaulackierter Fliegenpilz aus, im Inneren ist sie wie eine Arena konstruiert. Aufgrund der Nähe zu Schweden (Malmö ist binnen 20 Minuten per Fähre zu erreichen) besteht das Publikum an diesem Abend etwa zur Hälfte aus Schweden. Dennoch wird Kopenhagen zum schwächstbesuchten Konzert der Tour, was jedoch dadurch versüßt wird, daß die Bands bei keinem anderen Gig so viele schöne Frauen als ihre Gäste begrüßen können.
Busfahrer Eike, der auf der Tour einen zweiten Job geerbt hat und einen Verfolgerspot bedienen darf, stellt erneut unter Beweis, daß er nicht nur seinen Straßenkreuzer voll im Griff hat, sondern fährt wie jeden Abend den Spot wie ein junger Gott. Derweil erklimmen VANDEN PLAS die Bühne und sehen sich einem Publikum konfrontiert, das zum größten Teil noch nie von der deutschen Combo gehört hat. Doch VANDEN PLAS spielen einen klasse Gig, und Andy ist heute so locker und gelöst, wie man ihn kennt. Daher kommt die Band gut an und bereitet den Boden optimal für DREAM THEATER, die ebenfalls eine erstklassige Show spielen. Kopenhagen wird für beide Bands zum Höhepunkt der gemeinsamen Tour.
Es ist jedoch nicht zu überhören, daß auch James leichte Probleme mit der Stimme hat und vor manchen Melodiebögen kneifen muß, was dem positiven Resumée jedoch keinen Abbruch tut. Als Abschluß von ›Metropolis‹ lassen die New Yorker eine kurze Hommage an den in Dänemark geborenen Lars Ulrich erklingen, indem sie METALLICAs ›One‹ anspielen und somit einen humoristischen Schlußpunkt unter einen gelungenen Konzertabend setzen.
An diesem Abend lernen wir außerdem einen wichtigen Fakt über das Rock'n'Roll-Leben dazu: Die Höhe der Plateauschuhe entscheidet über den Zutritt zum Backstage-Areal. Auf jeden Fall schwebt die Blondine, die einen der begehrten Pässe erringt, 14 Zentimeter (von staatlich geprüften Fachmännern vermessen...) über dem Boden. Ob besagte Dame außer ihren halsbrecherisch gigantischen Plateauschuhen noch andere Qualifikationen unter Beweis stellen mußte, bevor sie von einem freundlich lächelnden Roadie in die verbotene Zone gebeten wurde, entzieht sich unserer Kenntnis.
Die Bands erhalten in Kopenhagen außerdem Besuch von ROYAL HUNT, die durch Sänger D.C. Cooper, Gitarrist Jakob Kjaer, Drummer Allan Sorensen und die bezaubernde Backgroundsängerin Lise Hansen (ohne Plateauschuhe!) vertreten werden.
Nachdem dieses businessmäßige Techtelmechtel verebbt ist, erhalten VANDEN PLAS eine Einladung zu einer privaten Party in einer nahegelegenen Wohnung. Nur durch die machtvolle Intervention von Tourmanager und INSIDE OUTler Thomas Waber kann eine pünktliche Abreise gewährleistet werden, so daß wir die Fähre erreichen und es per "Vogelflug" wieder zurück nach Deutschland gehen kann.
Hamburg. 7. Dezember. Dicke Luft. Irgendwie ist die Stimmung heute gespannt. Kein Wunder: Halle und Bühne sind verhältnismäßig klein und erschweren die Arbeit für die Crew, die Backstageräume befinden sich in den Katakomben der "Docks", und alle Tourmitglieder sind eng zusammengepfercht. Dennoch haben DREAM THEATER beim Soundcheck ihren Spaß daran, Coverversionen von ›Iron Man‹ bis zu ›The Trooper‹ zu spielen.
Zwischenzeitlich fährt Andy zum Hauptbahnhof, um ein kleines Dankeschön für James zu organisieren. Die Pillen des Kanadiers hatten maßgeblichen Anteil daran, daß Andy mittlerweile seine stimmlichen Qualitäten wieder voll ausspielen kann. Mit einem Teddybär für James' Tochter, die erst wenige Monate alt ist, kehrt er zurück. Er hat damit die perfekte Wahl getroffen, denn James verkündet hocherfreut, daß seine Tochter geradezu vernarrt in Teddybären sei.
Beim Konzert reagiert das Publikum scheinbar eher verhalten, und die kühlen Nordlichter scheinen ihrem Ruf alle Ehre zu machen. Kenner der Hamburger Szene klären uns jedoch auf, daß das Publikum für die örtlichen Verhältnisse geradezu einem brodelnden Vulkan geglichen habe.
Das würde die unmenschliche Hitze erklären, die in den "Docks" herrscht und den anwesenden Sanitätern jede Menge Arbeit beschert. DREAM THEATER lassen es sich jedoch nicht nehmen, als Abschluß des Sets eine selbstgezimmerte Punknummer zu spielen, die von Derek gesungen wird.
Da die "Docks", die auf eine Geschichte als erstes Kino in Europa zurückblicken können, mitten auf der Reeperbahn liegen, darf ein Besuch von Hamburgs Touristenziel Nummer 1 fehlen: die Reeperbahn, die Große Freiheit werden ebenso mit fachkundigem Auge sondiert wie die Angebotspalette der Herbertstraße... Für Andy und Drumroadie Manne findet der Abend an einem illustren Fleckchen seinen Ausklang: Sie verirren sich in die Prinzenbar und erfahren erst beim Verlassen, daß sie sich die Nacht in der ältesten Schwulenbar Deutschlands um die Ohren gehauen haben.
Der folgende Tag wird erneut ein Reisetag: Am Nachmittag schiffen wir uns in Hoek van Holland (in der Nähe von Den Haag/Rotterdam) ein, um nach Harwich in Essex überzusetzen. Bei dem Boot der Stena-Line handelt es sich um einen Katamaran, der die Überfahrt, die mit einem normalen Boot acht Stunden gedauert hätte, in nur viereinhalb erledigt. Mit diesem Fliegenden Holländer zischen wir durch stürmische See unaufhaltsam auf die Insel zu.
In England angekommen wird zur Überbrückung der Zeit bis zum Abendessen ein Video mit der "Fun"-Variante einer deutschen Fußballshow eingelegt und sofort als so schlecht empfunden, daß im Bus ein flotter Kick mit der zugehörigen Videohülle inszeniert wird. Auf diesem Umweg kommen wir doch noch in den Genuß einiger "funny" Schüsse und unsere Mägen werden auf das anschließende geniale indische Gelage eingestimmt.
Der Nightliner wird schließlich in einem Feldweg nahe einer Durchgangsstraße abgestellt, so daß es im Bus weder Licht noch Strom gibt. Wir trösten uns mit der Versicherung einer Einheimischen, daß der Hund von Baskerville noch nie in Essex erspäht wurde.
Da! Der erste rote Doppeldeckerbus! London, wir kommen. Derweil bricht englische Lichtmann Terrence geradezu in Tränen aus, als wir an einem Pub vorbeikommen, in dem er Ende der Siebziger Jahre IRON MAIDEN, DEF LEPPARD oder SAMSON live gesehen hatte, das nun zu einem McDonalds umfunktioniert wurde - ein trauriges Entgeld an die Moderne. Doch auch der heutige Auftrittsort ist geschichtsträchtig: Das "Forum" trug früher den Namen "Town & Country-Club" und hat schon fast alle Größen der Rockgeschichte beheimatet.
Während sämtliche DREAM THEATER-Musiker einen Interviewmarathon zu absolvieren haben, nutzen VANDEN PLAS die Zeit, um in zwei Grüppchen durch die Stadt zu ziehen. Wie es der Zufall will (London ist bekanntlich ein Dorf...,) treffen sie sich in einem Laden, der exakt jene Lampen feilbietet, mit denen sich DREAM THEATER-Keyboarder Derek während des Gigs umgibt. Die Idee, sich an diesem Abend mit der Megaversion einer solchen Lampe zu schmücken, verwirft man jedoch schnell wieder und strebt zurück gen Konzerthalle.
VANDEN PLAS werden an diesem Abend vor eine besonders schwere Aufgabe gestellt: Ihre Platten sind in Großbritannien nicht erhältlich und werden erst nach diesem Auftritt in die Läden wandern. Das Neuland beackert das Quintett jedoch so mitreißend, daß sie gute Resonanzen erzielen. Bei der Schlußnummer ›You Fly‹ klatscht ganz London mit - wenngleich kräftig außerhalb des Takts. Am Ende herrscht Begeisterung über die Band, was sicherlich nicht nur an der vielzitierten britischen Höflichkeit gelegen hat.
Der DREAM THEATER-Gig dagegen ist von technischen Problemen überschattet: So kann Derek nur einen Teil des Intros spielen, und Perfektionist Mike ist über die Probleme so erzürnt, daß er schier in Rage gerät. Er verdrischt die Felle wie ein Berserker, wirft mit Drumsticks um sich, und es dauert eine geschlagene Stunde bis er sich wieder beruhigt. Tröstlich, daß zumindest James stimmlich wieder voll auf der Höhe ist. Jedoch erlebt man in London die "anderen" DREAM THEATER: Während man von der Band eine positive Ausstrahlung auf der Bühne gewöhnt ist, präsentiert der heutige Gig die aggressive Seite der Band.
Dennoch ziehen DREAM THEATER professionell ihren kompletten Set durch und bereichern ihn am Ende gar mit einer NIGHTMARE CINEMA-Einlage: In der Formation James LaBrie (v), Derek Sherinian (g), Mike Portnoy (b), John Myung (k) und John Petrucci (d) spielt man als Tourabschluß DEEP PURPLEs ›Perfect Strangers‹. Ein klasse Schmankerl und wen würde es dabei schon stören, daß Derek sich gleich beim Einstieg mächtig verhaut und James den Text vergißt?
Epilog:
Während DREAM THEATER nach Hause fliegen, setzen wir im "schwimmenden Sarg" zum Festland über: Nur ein Teil der Busbesatzung kann den Kreidefelsen von Dover zum Abschied winken, während der Rest den wake-up-call schlicht überhört hat. Sie verbringen die Überfahrt im Bauch des Schiffes und fühlen sich dank des imposanten Seegangs wie ein Pingpong-Ball nach dem dritten Satz. Doch während VANDEN PLAS ihre Headlinershows in Deutschland, Schweiz und Benelux absolvieren, ist die grüne Farbe wieder aus allen Gesichtern gewichen.
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