"Night Of The Prog VI"-Festival
St. Goarshausen, Loreley-Freilichtbühne
08.-09.07.2011
Anno 2011 - sechstes "Night Of The Prog": bestes Billing, bestes Wetter, bester Zuschauerzuspruch, größter Prog-Spaß bislang!
Den Startschuß geben MARTIGAN, die sich auf ihrer Homepage als "The Tribute To The Art Of Rock" bezeichnen, was ungut in Richtung Coverband deutet. Doch gottlob kann die 1994 gegründete Band mit respektablen Eigenkompositionen glänzen. Zwar sind die Herren schon deutlich in die Jahre gekommen - na ja, wieviele Teenie-Prog-Bands kennt Ihr..? - aber mit ihrem tollen Art Rock sorgte die Kapelle aus dem Bonner Raum für einen gelungenen Auftakt.
Obgleich auch SKY ARCHITECT sicherlich nicht die Partymucke schlechthin liefern, ist die Stimmung sehr gut und viele Besucher begutachten die Show stehend, statt sich schlaff auf die Ränge der amphitheaterartigen Ränge der Loreley zu lümmeln, und stiften den Holländern viel Applaus. Man darf sich an völlig abgedrehter Mucke, die zwischen mitsingbaren Passagen und anschließenden minutenlangen Jazz-Exzessen pendelt, erfreuen, um dann die erste namhafte Band begrüßen zu können.
Die Überraschung des Festivals schlechthin sollen THRESHOLD werden: Zum einen ist es überraschend, wie heavy die Band mittlerweile rüberkommt, und zudem ist Damian Wilson, für den früher seine Bühnenphobie der Grund war, zweimal bei THRESHOLD auszusteigen, zu einer Rampensau per excellence geworden. Er ist permanent in Bewegung, klettert im Photograben das Geländer gen Publikum hoch oder unternimmt gleich diverse Ausflüge durch das Loreley-Halbrund, um dort mit den Leuten zu singen und sie reihenweise abzuklatschen - wobei er sich einmal ein wenig bei der Kalkulation des Rückweges vertut, so daß die Band unten auf der Bühne eigentlich hätte schüchtern die Frage "Has anybody seen our leadsinger?" ins Mikro hauchen kann... Man könnte diesen Abschnitt nun im Brustton der Überzeugung mit einem "Alles richtig gemacht!" abschließen, wenn die Band nicht das Sakrileg gegangen hätte, kein einziges Stück von ihrem übermächtigen Debut »Wounded Land« zu spielen. Andererseits ist es doch interessant, daß es sich eine Band erlauben kann, sein mit Abstand stärkstes Album, ja eines der besten Prog-Alben aller Zeiten, komplett zu ignorieren, und dennoch eine überragende Show zu absolvieren. Ergo: In Sachen Action sind THRESHOLD zweifelsohne der Höhepunkt des Tages!
Eigentlich muß jede Band, die nach einem solchen Auftritt auf die Bühne muß, rettungslos verloren sein. Dennoch schaffen es RIVERSIDE, ein solches Fiasko abzuwenden, da ihre Musik derart unterschiedlich ist: Hier kommt es nicht auf einen sprintstarken Sänger an, sondern bei den Polen lautet das Motto eben eher: "Augen zu und genießen." Sänger und Bassist Mariusz Duda sorgt zudem für einige Sympathiepunkte, da er sich und die Band bei seinen Ansagen ein wenig auf die Schippe nimmt: "Jetzt kommt unser Mitsingsong für Euch, aber Ihr wißt ja, daß unsere Songs etwas länger ausfallen, so daß Ihr noch gut zehn Minuten bis zu Eurem Einsatz Zeit habt..." oder "Wir waren ja schon mal vor zwei Jahren hier gewesen, aber Euer Gesang hat sich seither deutlich verbessert..."
Doch der unbestrittene Höhepunkt des gesamten Festivals soll erwartungsgemäß die Rückkehr von ELOY auf die Bühne nach 13 Jahren sein. Zu drei Shows hat sich die Band in der letzten Besetzung plus dem zurückgekehrten Hannes Folberth als zweiten Keyboarder zusammengefunden, um die Musik von ELOY vielleicht ein letztes Mal auf die Bühne zu bringen, was man heute auch nutzt, um eine DVD mitzuschneiden. Eine Woche zuvor war die Band im "Z7" in Pratteln quasi als Generalprobe aufgetreten, während sich eine Woche später noch ein Auftritt beim "Burg Herzberg"-Festival anschließen soll. Das Best Of-Programm wird von einer fabelhaften Lichtshow untermalt, die stets perfekt auf den jeweiligen Song abgestimmt ist, und so herrscht von Anfang an eine tolle, fast schon andächtig-transzendente Stimmung - inklusive Szenenapplaus bei ›Poseidon's Creation‹ - denn jeder der Anwesenden ist sich der besonderen Umstände dieses Abends bewußt. Sollte dies in der Tat die letzte Aktion unter dem Namen ELOY gewesen sein, es wäre ein würdiger Schlußpunkt! So bleibt nur noch, an alle Beteiligten von gestern bis heute zu sagen: Danke für mehr als 40 Jahre ELOY voller überragender Musik, und danke für diese Show!
Der Opener des zweiten Tages hat gleich mal was für Auge zu bieten: Die knallroten Hosen von Sänger Ross Jennings und die Barfüße von Bassist Tom MacLean (bekanntlich auch bei TO-MERA aktiv) gehen eine unheilige optische Allianz ein. Musikalisch ist die Vorstellung indes aller Ehren wert - wie man sich nach »Aquarius«, dem tollen Debut der Briten vom letzten Jahr, erhoffen kann, und auch die beiden neuen Songs klingen vielversprechend und lassen auf eine gute zweite Platte hoffen. Dementsprechend dürfen sich HAKEN auch über gutes Publikumsfeedback freuen, so daß Band als Startspieler fast schon überqualifiziert ist. Dies liegt allerdings bekanntlich daran, daß der eigentliche Opener MOON SAFARI kurzfristig absprang, so daß stattdessen VANDEN PLAS die Lücke im Billing schließen und verständlicherweise höher im Billing gesetzt werden und anschließend die Loreleybühne betreten dürfen.
Zwar immer noch eigentlich zu früh plaziert, machen VANDEN PLAS das Beste aus ihrer Position - zumal sich die Band ganz besonders freut, daß sie erstmals auf einer der schönsten Bühnen Deutschlands - wie Sänger Andy Kuntz betont, während er zugleich mit seinem In Ear-Monitoring kämpft - auftreten dürfen. Allerdings konzentriert sich die Songauswahl zu sehr auf das neue Werk »The Seraphic Clockwork«, dessen Songs dem Publikum freilich noch nicht so geläufig sind, so daß das Stimmungsbarometer ein wenig länger als normal braucht, um auf Touren zu kommen. Dennoch sollen VANDEN PLAS sich letztendlich problemlos in die Liste der Gewinner des Tages eintragen - und das obwohl man den Bandhit ›Rainmaker‹ frevelhafterweise nicht im Programm hat.
Anschließend sollte es dann wieder deutlich ruhiger zugehen, denn die bayerischen RPWL und ihr - wie es der unfreiwillig gespielte Witz von Ansager ausführt - "new modern Prohg" stehen nun auf dem Plan. Im Vordergrund steht hier der extreme Kontrast zwischen teilweise sehr eingängigen Passagen, denen sich dann durchaus ein zwanzigminütiges Instrumentalgeböller anschließen kann - mit ein Grund, weshalb sich Sänger Yogi Lang sein eigenes Keyboard auf die Bühne stellen läßt, um nicht während dieser Zeit däumchendrehend im Off stehen zu müssen, sondern weiterhin aktiv ins Geschehen eingreifen kann. Ja, ja, ja, meine lieben Insider: Euer Einwand, daß er bei der Originalbesetzung, von der heute das "R" und das "P" nicht mehr an Bord sind, ohnehin für Keyboard und Gesang zuständig war, ist natürlich völlig berechtigt...
In IQ folgt der nächste Wiederholer in diesem Jahr, doch auch wenn die Band als einzige neben dem heutigen Headliner die Projektionswand im Bühnenhintergrund voll ausnutzt (RPWL hatten zuvor hin und wieder ein paar Bilder dort aufflimmern lassen), den exzellenten Eindruck, den man 2007 hinterlassen hatte, erreicht man heuer längst nicht. Wir wollen hier keineswegs unken, daß die Band den Abgang von Keyboarder Martin Orford nicht verkraftet habe, sondern es ist heuer vor allem der technische Wurm drin, so daß die Band abwesend wirkt und der Funke nie überspringen will. Einzig gegen Schluß, als Sänger Peter Nicholls sich während eines sehr emotionalen Parts auf die Bühne kniet und auch beim anschließenden Instrumentalpart noch lange Zeit völlig in sich gekehrt in seiner Position verharrt, blitzt wieder diese besondere Magie der Briten auf.
Offiziell hat man dem Headliner schon 45 Minuten Umbaupause gewährt, was eigentlich wie ein schlechter Scherz anmutet, wenn man bedenkt, daß dieser Job am Abend zuvor bei ELOY mit deutlich mehr Equipment sowie der Extrabelastung einer DVD-Aufzeichnung in deutlich kürzerer Zeit bewältigt wurde. Durch zusätzlich aufkommende "technische Probleme" wächst die Umbaupause sogar auf unglaubliche 70 Minuten an, was nur zwei Mutmaßungen erlaubt: Hier wurde entweder absichtlich Zeit geschunden, oder DREAM THEATER sollten sich dringend eine professionellere Crew zulegen... Wie auch immer - als die Band dann auf die Bühne kommt, findet die Begeisterung kein Ende. Doch letzten Endes sollen die Amis heuer nur eine durchschnittliche Show spielen, was sicherlich nicht im Wechsel des trommelnden Mike von Portnoy zu Mangini begründet ist, sondern in der extrem kruden Songauswahl, die nahezu klassikerfrei ist. Einfache Frage: Was würdet Ihr von einer Band erwarten, die vor Veröffentlichung eines neuen Albums bei ein paar europäischen Festivals auftritt und zugleich ein neues Bandmitglied präsentiert? Eine Hitparade natürlich! Das wäre auch eine clevere Entscheidung gewesen, doch DREAM THEATER verzichteten sogar auf ihren bekanntesten Song ›Pull Me Under‹, so daß hier auf der Loreley noch eine Menge mehr drin gewesen wäre!
Leider hat man sich im DREAM THEATER-Lager auch für die Photographen ein besonderes Späßchen einfallen lassen, so daß der Festivalphotopaß nicht mehr gültig ist, und stattdessen ein eigener Photopaß angesagt ist - was man allerdings nirgendwo entsprechend kommuniziert hat, so daß die Photographen scharenweise unverrichteter Dinge abziehen und DREAM THEATER am nächsten Tag garantiert nicht die am meisten abgebildete Band in den Lokalzeitungen sind, und es bei uns die Band auch nur als Distanzschuß zu sehen gibt.
Auch wenn von diesen Dingen vermutlich keiner der Musiker etwas wußte, sondern wie so oft auf Herren im Hintergrund zurückzuführen sind, wirft das nicht gerade ein sympathisches Licht auf die Band - und gerade darauf ist sie im Jahr 1 nach Portnoy eigentlich mehr denn je angewiesen...
Den NOTP-Abschluß machen ANATHEMA, die mit DREAM THEATER auf Tour sind, aber eigentlich viel zu schade sind, um hier als "End Of Show"-Band verheizt zu werden. Doch zum Glück ist der durchschnittliche Progger gut informiert und weiß, daß ihn hier eine besondere Band erwartet, so daß sich die Abwanderung in Grenzen hält. Diese spenden den Briten Standing Ovations und nehmen sowohl etwas ältere, noch eher doom-deathige Stücke ebenso dankend an, wie auch den atmosphärischen Rock heutiger Tage bis hin zu einem ganz ausgesprochen elektronischen Stück, das sich in die Setlist verirrt hat - der Beweis also, wie vielfältig Prog ist und daß er durchaus auch mal tanzbar sein kann, so daß ANATHEMA ein würdiger Abschluß für das Festival sind!
Photos: Stefan Glas
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