Welche Band hat es geschafft, mit nur einem Album absoluten Kultstatus zu erringen, mit einer Schallplatte die Fahrkarte zur Unsterblichkeit zu lösen? Keine - außer ADRAMELCH!
Den fünf Italienern ist dies mit »Irae Melanox« gelungen. Dabei hätte kaum ein vernünftiger Zocker eine einzige rote Lire für diese Wette riskiert: Dazu waren die Prognosen einfach zu schlecht. ADRAMELCH treten zu einem Zeitpunkt an, als Italien in der Metalszene den Ruf genießt, die Brutstätte untalentierter Prügelknechte zu sein und Bands wie ELEKTRADRIVE, SABOTAGE oder STRANA OFFICINA nur als verschämte Silberstreifen an einem gewitterschwangeren Himmel angesehen werden.
Es nimmt Mitte der Achtziger seinen Ausgang in Mailand: Sänger Vittorio Ballerio, Bassist Franco Avalli und Gianluca Corona gründen eine Band, wobei Gianluca zunächst an den Drums sitzt und ein gewisser Lorenzo Marconi die Gitarre bedient. Als dieser sich DEATHRAGE anschließt wechselt Gianluca an die Klampfe, und der Drumhocker wird mit Luca Moretti neu besetzt. In Sandro Fremiot findet man einen zweiten Gitarristen, der hervorragend mit den restlichen Musikern harmoniert.
Während ADRAMELCH ihr Augenmerk auf die Komplettierung des Line-ups richten ahnen sie gewiß noch nichts von dem Höhenflug, zu dem sie aufbrechen werden. Zunächst sind sie damit beschäftigt, Songs von MERCYFUL FATE, IRON MAIDEN, QUEENSRŸCHE oder SLAYER nachzuspielen, bevor man 1987 mittels eines 12-Spur-Recorders ein 5-Song-Demo mit dem Titel »Irae Melanox« aufnimmt, dem prompt eine große Ehre zuteil werden soll: ›Adramelch‹, die erste Komposition von Gianluca, findet Platz auf dem »Heavy Rendez Vous«-Sampler, den die Firma LM RECORDS 1988 veröffentlicht. Zwar passen ADRAMELCH nicht ganz in den Power- und Normalo-Metal-lastigen Sampler, sorgen aber mit ihrem Stück für den niveauvollen Höhepunkt des Vinyls.
Liegt es an der Demoproduktion, die dem Stück einen Sound wie Wüstensand verpaßt oder daran, daß ADRAMELCH schon zu Anfang ihres Schaffens ihre eigene Welt halluzinieren können? Zweifelsohne klingt die Nummer eigenständig und läßt keine Vergleiche zu anderen Bands zu. Und damit ist der Anfang geschafft: Trotz ihres ungewöhnlichen Stils haben ADRAMELCH die Blicke der Businessriege auf sich gelenkt und erhalten einen Deal mit der Italo-Company METALMASTER. Ob dies ein Segen oder ein Fluch ist läßt sich im Nachhinein nicht mehr festlegen: Einerseits erhalten ADRAMELCH von dem Indie kein umfangreiches Recording-Budget, so daß die folgende Platte die Klangcharakteristik des Samplertracks aufweist: spröde und rauh wie die Hirnwindungen nach einer durchphilosophierten Nacht. Andererseits verwächst dieser klangliche Eindruck untrennbar mit der Musik von ADRAMELCH, so daß man schon bald eine megafette Produktion als unpassend empfinden würde. Doch jenseits solcher Gedanken ist die 1988 erschienene einzige ADRAMELCH-Platte »Irae Melanox« ein Meilenstein der Prog-Kultur.
In das einprägsame, von Gianluca geschaffene Gemälde "The Realms Of Mist" gehüllt ist »Irae Melanox« ein Kunstwerk, dessen Musik unvergeßlich ist: Die höchst verschachtelten Kompositionen sind trotz aller Breaks und Eskapaden auf wundersame Weise eingängig. Das liegt zum einen am hypnotischen Gesang von Vittorio, dessen beschwörender Macht man sich nicht entziehen kann. Wenn er zu melodischen Fieberträumen wie in ›Was Called Empire‹ (das sich von der Demoversion deutlich unterscheidet), oder ›Decay (Saver Comes)‹ aufbricht, fühlt der Hörer zwangsläufig, wie sich seine Körpertemperatur um einige Grad Celsius erhöht. Die Rhythmusgruppe mit Franco und Luca sorgt jedoch mit ihren Breakduschen dafür, daß man kurz vor dem Verglühen wieder abkühlt. Zwischen diesen Begrenzungslinien weben Gianluca und Sandro ein Netz undurchdringlicher Saitenkunststücke, und wer einmal ein Gitarrenthema wie in ›Eyes Of Alabaster‹ gehört hat, wird es für den Rest seines Lebens nicht mehr vergessen; wird ADRAMELCH nie mehr vergessen können!
Gerade so als wolle die Band gemeinsam mit der Welt eine endlos scheinende Schweigeminute einlegen, sollen von nun an ausschließlich Gerüchte über ADRAMELCH nach außen dringen, bis viele Monate später endlich die Bombe platzt: Die Band hat sich aufgelöst! Die Gründe dafür sind mannigfaltig: Persönliche Differenzen bringen Spannungen im Bandgefüge mit sich, und als Franco und Luca ihren Wehrdienst versehen müssen bedeutet dies das Aus für ADRAMELCH.
Zwar entstehen in dieser Zeit noch sieben weitere Songs, die das zweite ADRAMELCH-Album »Aeternam« formieren sollten, doch soweit kommt es leider nicht mehr. Dennoch verleiht die Band 1997 im elften THAT'S IT!-Magazin ihrer Hoffnung Ausdruck, daß die Stücke noch veröffentlicht werden können. Leider müssen wir alle bis dato noch mit ihnen hoffen.
Anno 1994 wird ein erster Epilog angefügt: Ohne Drummer Luca, der mittlerweile nach Rom gezogen ist, und Sandro, der sich dem Jazz zugewendet hat, veröffentlichen die verbleibenden drei ADRAMELCH-Musiker zusammen mit dem Keyboarder Gualtiero Insalaco (und einem technischen Ersatz für Luca in Form eines Drumcomputers) unter dem Namen ZEFIRO ein Demo, das musikalisch auf völlig anderen Pfaden wandelt. Man widmet sich sehr poppigen Tönen - ein "Versuch, kommerzielle Einflüsse in unsere Songs zu bringen, um mehr Leute mit unserer Musik zu erreichen. [...] Wir haben versucht, mit diesen Kompromissen klarzukommen", wie Gianluca später gesteht. [Quelle: THAT'S IT! Nr. 11, S. 9] Es ist nicht schwer zu erkennen, daß die Musiker nicht wirklich hinter diesem Experiment stehen, so daß ZEFIRO recht bald ad acta gelegt werden.
Dennoch gibt man nicht auf und beginnt ein neues Projekt, das stilistisch dem Art Rock zuzuordnen ist. Doch auch um diesen neuen Ansatz der ehemaligen ADRAMELCH-Musiker senkt sich bald undurchdringliches Schweigen. Wären sie einige Jahre später gekommen hätten sie vielleicht im Zuge des Italo-Prog-Booms einen Plattenvertrag ergattern können, so wird man stattdessen auch mit diesem Kapitel nicht die verdiente Beachtung erhalten.
Im Jahr 1999 wird der längst überfällige Re-Release von »Irae Melanox« durch die Company WARLORD RECORDS bewerkstelligt, doch der Silberling fällt arg schmächtig aus: Das Vinyl wird nahezu unverändert ins digitale Zeitalter hinübergewuchtet; lediglich das Covergemälde wird nun in Farbe abgebildet und Bandlogo sowie Albumtitel werden mit etwas Farbe verziert; einen Bonussong wie der essentielle Samplertrack ›Adramelch‹ sucht man hingegen vergeblich. Eine verpaßte Gelegenheit.
Die Früchte ihrer Kreativität konnten ADRAMELCH nie ernten, doch wie hätten die aussehen sollen? Millionenverkäufe und eine Grammy-Nominierung? Lächerlich! Ein unvergleichliches Album und eine Handvoll Kenner, die es nie wieder aus ihrer Erinnerung verbannen können, sind der Lohn, mit dem sich eine Band dieser Couleur zufriedengeben muß.
ADRAMELCH
Demo- und Discographie
5-Song-Demo1987
Irae Melanox (LP)1988
Irae Melanox (CD-Re-Release)1999
Stand: Juli 2000
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© 1989-2024 Underground Empire |
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