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Manuel Schreiner/Mirjam Kolb
Indie Travel Guide
( ROCKBUCH VERLAG, ISBN: 978-3-927638-46-4 )

Genau so einen Schinken hatte ich mir vor etwa drei Jahren gewünscht, als ich in London war und einige Stunden Zeit hatte, doch schnell feststellen mußte, daß sich seit meinem letzten Besuch einiges in Londons Plattenlädeninfrastruktur geändert hatte. Zwar war mir bewußt, daß jene Kulttempel, die man in den Achtzigern aufsuchen konnte ("Shades" und "Marquee" sollen hier als Stichworte ausreichen), schon längst ihre Pforten geschlossen haben, doch auch die Läden, die ich Ende der Neunziger durchwühlt hatte, waren verschwunden. Mit dem "Indie Travel Guide" wäre ich nicht stundenlang erfolglos durch die Stadt geirrt!

Manuel Schreiner und Mirjam Kolb haben sich nämlich Bands aus ganz Europa zur Brust genommen und ihnen Geheimtips über ihre Heimatstädte entlockt. Zwar fängt das Buch - wie der Titel erwarten läßt - hauptsächlich den Blickwinkel von Indiemusikern ein, doch schließlich sind in unabhängigen Plattenläden zumeist alle erdenklichen Stilrichtungen zu erspähen. Praktischerweise findet man im "Indie Travel Guide" auch Adressen von Klamotten- und vor allem Schuhläden, in denen man die Herzensdame parken kann, um beim Plattenstöbern nicht gestört zu werden und von Kommentaren wie "Sag' mal, hast Du nicht schon genug Platten?" oder "Warum ziehst Du immer nur Platten mit solch' scheußlichen Covern raus?" verschont wird... Wenn dann Männlein und Weiblein streitfrei und befriedigt aus den jeweiligen Läden rauskommen, weiß der "Indie Travel Guide" auch weiterhin Hilfe: Sowohl Sehenswürdigkeiten abseits der üblichen Touristandards als auch Galerien oder sonstige spezielle Tips kann man hier finden, mit denen man die Zeit sinnvoll totschlagen kann. Damit auch das leibliche Wohl nicht zu kurzkommt, findet man zudem Empfehlungen in Sachen Restaurants oder Kneipen, so daß man sich alsdann gestärkt ins Nachtleben in den ebenfalls vorgestellten Clubs stürzen kann. Kurz: Auf Reisen kann man die komplette Tagesplanung dem "Indie Travel Guide" überlassen.

Allerdings gibt es auch einige Kritikpunkte, die man nicht verschweigen darf: Zum einen besteht ein deutliches Mißverhältnis zwischen den einzelnen Länder, denn aus Südeuropa werden lediglich Barcelona (Pflichttrip! Sehr sehenswerte Stadt, und in der Tallers, einer Seitenstraße zur Idiotenrennbahn..., äh Touristenmeile Rambla, kann man stundenlang nach Scheiben wühlen!), Madrid, Mailand und Rom berücksichtigt, während auf den Britischen Inseln, die mehr als ein Drittel des Buches ausmachen, nahezu jedes Kuhkaff vorgestellt wird. Griechenland wird mal gleich - ebenso wie alles, was östlich von Deutschland und Österreich liegt - komplett ignoriert. In Skandinavien wurde zudem eine essentielle Stadt wie Göteborg ausgelassen; meinereiner konnte sich vor einigen Jahren dort allerdings zwei komplette Tage in mannigfaltigen Scheibenparadiesen austoben und mußte dabei den Schnellgang einlegen, um wenigstens halbwegs durchzukommen! Auch waren nicht alle der Befragten echte Kenner in Sachen Plattenläden: So sind die Tips für Helsinki doch eher mau, obgleich man sich in der finnischen Hauptstadt tagelang durch die Heimstätten für in Scheiben gepreßte Mucke wühlen kann. Ganz bitter wird es allerdings in Paris, wo sich die Tips auf "FNAC" und "Virgin Megastore" beschränken, also jene Läden, in denen man zu extrem überteuerten Preisen das Mainstreamprogramm durchkauen kann - not very indie... Okay, zugegeben, "Virgin Megastore" hat eine sehr gute Importecke, doch die dort aufgerufenen Preise will niemand zahlen! Dafür gibt es in Paris aber mehr als ein Dutzend grandiose Platten- oder Second Hand-Läden, in denen man von echten Schnäppchen bis zu ausgefallenen Rundlingen alles findet. Zum Glück wird wenigstens noch empfohlen, man solle eben jene kleinen, versteckten Plattenläden aufstöbern. Heißer Tip: Wenn man einen solchen gefunden hat, einfach nach dem Bezahlen nach weiteren Musikläden fragen. In den meisten Plattentempeln der französischen Hauptstadt habe ich dabei etliche weitere Adressen erhalten.

Für Plattensammler wäre der "Indie Travel Guide" also sicherlich noch optimierbar, gibt aber dennoch etliche gute Tips. Und schließlich sind Platten ja nicht das ganze Leben, sondern machen nur etwa 95 Prozent aus... Allerdings wäre es wünschenswert, daß jemand das Konzept des "Indie Travel Guide" aufgreifen würde, und ein solches Buch einzig aus Metallerblickwinkel zusammenstellen würde. Die Schuhläden könnte man dann wohl weglassen...


Stefan Glas

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