Nach den letzten beiden Veröffentlichungen »Dragontown« und »Brutal Planet«, die doch recht modern geklungen hatten, war höchstwahrscheinlich nicht nur meine Wenigkeit sehr angetan vom neuesten Output des Herrn Alice Cooper: »The Eyes Of Alice Cooper« klingt derart "old school"-lastig, daß ich zunächst eher an archäologische Arbeiten in den Archiven dachte, als daran, daß es sich bei den 13 Songs tatsächlich um neue, frische Kompositionen handelt.
Woher der Sinneswandel kommt, was genau dahinter steckt und einiges mehr, verriet Alice am Telefon:
»The Eyes Of Alice Cooper« hat mich sehr überrascht. Höchstwahrscheinlich wird es aber mehreren Leuten so gegangen sein, denn nie im Leben hatte ich mit derart retroverdächtigen Klängen gerechnet.
Genau das war unser Vorhaben mit dieser Platte. Ich habe in den letzten Jahren fast schon vergessen, wie genial sich Musik vor längerer Zeit angehört hat. Erst seit bei uns in den Staaten ständig Songs von THE VINES, THE STROKES oder THE WHITE STRIPES im Radio zu hören sind, ist mir in den Sinn gekommen, daß Musik einfach gespielt und produziert werden kann und nicht immer nur computermäßig festgehalten werden muß. Alle diese Bands klingen so, als ob die letzten Jahre, oder Jahrzehnte in der Musikgeschichte überhaupt nicht existiert hätten. Natürlich wollte ich nicht auf diesen Zug aufspringen. Aber als ich dann auch noch mitbekommen habe, welche Bands diese Jungspunde als Einflußquellen angeben, fühlte ich mich nicht nur geehrt, sondern irgendwie geradezu aufgestachelt, der Welt zu zeigen, was Alice Cooper im Jahre 2003 zu leisten im Stand ist.
Du bist nicht ganz allein für die Songs verantwortlich. Hat Deine Band diesbezüglich gleich mitgespielt?
Absolut. Zum einen muß ich sagen, daß wir keinen Keyboarder mehr in der Band haben. Wozu auch? Das neue Material bedarf keiner Keyboardsounds. Die Gitarristen Ryan Roxie und Eric Dover, die beide aus dem GUNS 'N ROSES-Umfeld stammen sind ohnehin traditionelle Rock'n'Roll-Fanatiker. Auch Eric Singer, unser Drummer, ist es gewohnt, solche Songs einzutrommeln. Mit Chuck Garric habe ich einen neuen Bassisten in der Band; der Junge ist ein feiner Kerl und begnadeter Musiker obendrein. Die Kompositionen stammen von den Gitarristen und mir, wobei die Arbeit ungemein Spaß gemacht hat. Wir haben den Großteil der Tracks bei Eric aufgenommen, waren aber auch bei Gilby Clarke in dessen Studio.
Wie Du bereits anklingen hast lassen, scheint sich auch die Studioarbeit verändert zu haben, oder?
Genau, ich wollte weg von diesen synthetischen Sounds. Natürlich ist es eine tolle Erfindung, wenn man im Prinzip allein mit einem Computer ein Album einspielen kann. Ich denke dabei muß man noch nicht einmal die Instrumente richtig beherrschen. Aber wo bleibt da der Spirit des Rock'n'Roll? Deshalb haben wir die Songs soweit es möglich war live aufgenommen. Wir waren ständig zusammen im Studio, haben einfach drauflosgespielt und nach Lust und Laune den einen oder anderen Song eingespielt.
Wobei die endgültige Produktion dann doch von einem Außenstehenden übernommen wurde.
Das ist auch so eine Geschichte, die sich im Rahmen der Aufnahmen in den MATES REHEARSAL STUDIOS, wo wir im Endeffekt die Endproduktion erledigten, abspielte. Eines Tages kam ein Mann auf mich zu und fragte, wer denn da im anderen Proberaum ständig diese coolen Töne von sich gibt. Er wußte zu diesem Zeitpunkt nicht, daß es sich um meine Band handelte. So ergab ein Wort das andere und der Kerl entpuppte sich als Andrew Murdock, der unter dem Namen "Mudrock" bereits mit POWERMAN 5000 und GODSMACK gearbeitet hat. Da mich die Produktion dieser Scheiben ziemlich beeindruckte, war der Produzent für »The Eyes Of Alice Cooper« gefunden.
Auch was die Texte betrifft, scheint es, als ob Du Dich eher an der Vergangenheit orientiert hättest?
Ja, ich hätte keinen Sinn darin gesehen, zu einer doch recht fröhlich klingenden Musik eher düstere Texte wie zuletzt zu verfassen. Da es mir sehr wichtig ist, daß bei einem Song alles zusammenpaßt, sind auch die Lyrics sehr rockorientiert. Nimm als Beispiel ›Detroit City‹. Wie der Titel bereits verrät, stellt der Song eine Hommage an meine Heimat dar. In dieser Stadt war Rockmusik immer vertreten. Schon zu den Anfängen meiner Band, waren mit MC 5 oder IGGY AND THE STOOGES bereits Bands am Werk, die heute als Klassiker gelten. Eine feine Szene ist in dieser Stadt erhalten geblieben, und ich denke, es ist wieder einmal an der Zeit, daß Detroit als eine der einflußreichsten Städte der USA in Sachen Musik wahrgenommen wird.
Wie man Dich kennt, wird es ja wieder monatelang auf Tour rund um den Erdball gehen, oder nicht?
Natürlich, wir werden demnächst hier in den Staaten beginnen. Dieser Teil der Tournee sollte bis November dauern. Im Anschluß daran planen wir, in Asien aufzutreten, doch diesbezüglich ist leider noch nichts fixiert. Europa braucht sich ebenfalls keine Sorgen zu machen, denn Ihr bekommt anschließend die ultimative Show geboten.
Und wie wird diese Show aussehen?
Zunächst einmal muß gesagt werden, daß ich nur Klassiker und brandneue Songs präsentieren werde. Zum einen, weil ich bei diesen Songs keinen Keyboarder brauche, zum anderen funktioniert besagtes Material wunderbar in Kombination. Außerdem passen neue Songs vom Schlag ›Man Of The Year‹ oder ›Between High School & Old School‹ unheimlich gut zwischen ›School's Out‹ und ›Billion Dollar Babies‹. Was die Show betrifft, so hoffe ich mein gesamtes Repertoire mit nach Europa bringen zu können. Es wird definitiv was fürs Auge geboten. Außerdem war die Boa schon so lange nicht mehr mit auf Tour, daß es wieder einmal Zeit wird, das Tierchen mitzunehmen.
Na dann, lassen wir uns überraschen, was uns der gute Alice und seine Mannen außer der Schlange noch so zu bieten haben. Ein unterhaltsamer Abend mit feinsten Rocksongs ist definitiv garantiert - was man spätestens als Abschluß des Freitagabends beim diesjährigen "Bang Your Head!!!" wird begutachten können.
Photos: Ward Boult