VNV NATION
Stuttgart, Röhre
08.11.2001
Eine prallgefüllte, ausverkaufte Röhre erwartete mich, als ich mich neulich auf ein Non-Metal-Konzert verirrte und dabei auch gleich die beiden Vorbands verpaßte. Doch der Grund für mein Erscheinen waren ohnehin die englischen Dark-Elektro-Götter VNV NATION, die vor dem Release ihrer neuen Platte »Future Perfect« im Januar on Tour waren. Das Publikum bestand vornehmlich aus Dark Wave-Fans, so daß man sich auch einigen Damen gegenübersah, denen anscheinend der Cajalstift ausgerutscht war.
Da VNV NATION nur aus den beiden Musiker Ronan Harris und Mark Jackson besteht und die beiden ohne Touringband unterwegs waren, gab es bei der Show einige Besonderheiten: Zwar hatte man eine aufwendige Lichtshow aufgefahren, die natürlich mit viel Nebel gespickt wurde, und es gab zwei Leinwände im Hintergrund, auf denen ein Backgroundfilm ablief, der mit dem jeweiligen Song eng verknüpft war, aber dennoch sah die Bühne eher spartanisch aus, da sich nur das E-Schlagzeug darauf befand, hinter dem Mark während der gesamten Show im Stehen fuhrwerken sollte. Daneben erspähte man ein unscheinbares kleines Gehäuse, dem wohl die meisten Töne entstammten, die man im Verlauf der Show zu hören bekam. Folglich war der VNV NATION-Auftritt kein reinrassiges Livekonzert, sondern wirkte vielfach wie eine Performance, bei der etliches notgedrungen schon im Vorfeld vorbereitet worden war.
Dennoch wurde es ein einmaliges Erlebnis, was nicht nur daran lag, daß Sänger Ronan mit seiner Rolle als einzige Person im Vordergrund der Bühne, sehr gut zurechtkam: Er bewegte sich ausgiebig, gestikulierte viel und sorgte für mehr Belebung als manche Band, die dort drei oder vier Musiker postiert hat. Auch seine Kommunikation mit dem Publikum war sehr erfrischend: Er bemühte all' seine aufgeschnappten deutschen Sprachbrocken, so daß er beispielsweise bei dem Song ›Standing‹ alle Anwesenden aufforderte: "Und ich will daß jetzt niemand bleibt standing!" Völlig überflüssig, denn die gesamte Röhre tanzte sich vom Opener ›Kingdom‹ bis zum Ende der Show den schweißtriefenden Wolf.
Nach 90 Minuten war der offizielle Teil zuende und man verabschiedete sich artig vom Publikum. Aber es war ebenso klar, daß man anschließend noch mal zu einer Zugabe zurückkehren würde. Doch daß sich der Zugabenteil letzten Endes fast über eine Stunde hinwegziehen sollte, war nicht vorherzusehen gewesen. Es lag einfach daran, daß sowohl Publikum als auch Band eine Menge Spaß hatten und VNV NATION sich nur allzu gerne ein weiteres Mal und ein weiteres Mal und ein weiteres Mal (...) auf die Bühne bitten ließ. Sogar das eingeschaltete Saallicht nützte nichts, sondern die Party ging mit unverminderter Energie weiter. Erst als nach über zweieinhalb Stunden ein permanent kopfschüttelnder Ronan in einem Anflug von Verzweiflung fragte, "Don't you have homes that you can go to?" war die Tanzextase beendet.
VNV NATION traten den Beweis an, daß es bei Livekonzerten vornehmlich um den Austausch von Energie geht und boten eines der besten Konzerte seit Monaten, dem ich beiwohnen durfte. Wäre da nicht der furiose Auftritt von CULPRIT in Wacken gewesen, und hätte Dee Snider nicht das "Bang Your Head!!!" in unbeschreiblicher Weise dominiert, wäre es gar die Konzert des Jahres 2001 gewesen.
Photos: Stefan Glas