Obgleich MÖTLEY CRÜE im Grunde seit Jahren außer Gefecht ist, versteht es die Truppe nach wie vor wie kaum eine andere, sich immer wieder in die Schlagzeilen zu bringen. Bestes Beispiel: das Buch "The Dirt", in dem man in reißerischer und effekthascherischer Manier die eigene Geschichte erzählt.
Da die buntgescheckte Rotte zudem just ihren kompletten Backkatalog wiederveröffentlicht hat, war es naheliegend, einen Blick auf die Karriere der Band zu werfen. Im Licht der Erfolge von MÖTLEY CRÜE legte Basser Nikki Sixx ungebremst und selbstbewußt los:
Die coolste Sache an MÖTLEY CRÜE war meines Erachtens, daß wir nichts zweimal taten: Unsere erste Scheibe »Too Fast For Love« war eine Punk-Pop-Platte, der Nachfolger »Shout At The Devil« klang sehr metallisch, während unser drittes Album »Theatre Of Pain« eine Glamscheibe war und so weiter. Wir haben uns permanent musikalisch und optisch weiterentwickelt, weil wir einfach eine neue Stimulation brauchten, um stets frisch klingen zu können.
MÖTLEY CRÜE entsprangen Anfang der Achtziger der unüberschaubaren Szene von L.A.. Mehr oder minder zeitgleich starteten unzählige andere Bands; jedoch kaum eine schaffte es, einen ähnlichen Status wie MÖTLEY CRÜE zu erreichen. Was hat Euch von anderen Bands unterschieden?
Für MÖTLEY CRÜE ist alles unglaublich schnell gegangen, doch ich glaube, ich kann behaupten, daß schon etwas magisches existierte, als wir zum ersten Mal zusammenspielten. Es gibt einfach eine Handvoll Bands in der Rockgeschichte wie beispielsweise LED ZEPPELIN, JANE'S ADDICTION, SEX PISTOLS, GUNS N' ROSES oder auch MÖTLEY CRÜE, die etwas ganz Besonderes haben: Sie alle hatten einen unverwechselbar klingenden Sänger, und die Band spielte einfach in ihrer eigenen Liga - sowohl was die individuellen Fähigkeiten als auch das Zusammenspiel der Musiker betraf. MÖTLEY CRÜE in ihren originalen Besetzung spielten Musik, die niemand sonst hätte spielen können. Wäre bei MÖTLEY CRÜE ein anderer Musiker gewesen, wären wir mit Sicherheit eine andere Band gewesen! MÖTLEY CRÜE waren einzigartig inmitten einer Armee von Bands, die wie eine verwässerte Version ihrer Vorbilder wirkten.
Zu dieser Zeit gab es den ominösen, oft beschworenen und eigentlich nie wirklich ernstzunehmenden Zwist zwischen den sogenannten Posern und Thrashern. Los Angeles war zweifelsohne das Poser-Mekka, während in San Francisco die härteren Bands zu Hause waren. Die dortige Bay Area-Szene wurde immer als eine große Familie beschrieben. Traf dies auch auf L.A. zu, oder war dort neben Haarspray und Lippenstift eher Konkurrenzdenken an der Tagesordnung?
Ich habe die Szene in Los Angeles nie unter diesem Gesichtspunkt betrachtet. Im Grunde würde ich sagen, daß wir nicht wirklich zu dieser Szene gehörten. Ich wollte nie Teil einer Bewegung sein; MÖTLEY CRÜE sollte einfach eine "Einer für alle, alle für einen"-Gemeinschaft sein, die sich einen Dreck um die Meinung von Obrigkeit, Presse oder der Musikindustrie scherte. Das war abgesehen von der Musik das wichtigste, was man über MÖTLEY CRÜE zu jenen Tagen sagen kann.
Interessanterweise wurden MÖTLEY CRÜE damals von der Presse häufig als satanische Band eingestuft, was nicht nur vom heutigen Standpunkt Anlaß zu hysterischem Gelächter gibt.
Diesen Ruf hatten wir schon nach der ersten Platte weg, obwohl wir mit Satanismus nicht im geringsten etwas am Hut hatten. Das war der Grund, weshalb wir für die zweite Scheibe den Titel »Shout At The Devil« wählten. Aber die Presse sucht manchmal nach einfachen Lösungen, um etwas zu kategorisieren, und prompt steckt man in einer Schublade, und die Leute glauben, daß dies die Wahrheit sei.
Die Reaktion von MÖTLEY CRÜE sah so aus, daß auf besagter Platte ein umgedrehtes Pentagramm zu sehen war. Selbiges begleitet Euch bis zum heutigen Tag, denn auf den Re-Releases war jeweils ein solcher Sticker zu sehen.
Das Pentagramm war eigentlich weniger eine Trotzreaktion, sondern wir wollten uns über diese Kategorisierung lustigmachen. Es war damals nicht abzusehen, daß es sich als Erkennungsmerkmal einbürgern würde, aber wir können sehr gut damit leben.
Die History von MÖTLEY CRÜE mutet für einen Außenstehenden wie eine Achterbahnfahrt an. Was war Deines Erachtens die beste Phase für die Band?
Es ist unmöglich, eine bestimmte Zeit herauszupicken; ich würde vielmehr sagen, daß die gesamte Bandgeschichte ein einzigartiges und äußerst interessantes Abenteuer war. Wir hatten eigentlich nie echte Hochs und Tiefs, sondern wir waren immer wir selbst geblieben. Wir machten immer, was wir wollten, und das Endresultat hieß MÖTLEY CRÜE. Ich weiß, daß man oft versucht hat, uns mit anderen Bands in einen Topf zu werfen, aber MÖTLEY CRÜE haben nie zu einer anderen Band gepaßt.
Gibt es eigentlich noch alte Freunde, die Dich bei Deinem richtigen Namen Frank nennen (Der exakte Name lautet Frank Carlton Serafino Feranna - sg)?
Nein, der Name ist quasi ausgestorben, und jeder nennt mich Nikki - sogar meine Mutter!
Hast Du Dir das Pseudonym extra für MÖTLEY CRÜE zugelegt, oder gab es Nikki Sixx schon zuvor?
Ich wählte den Namen, als ich noch bei der Band LONDON spielte. Genauer gesagt hieß ich damals "Nikki London", aber irgendwie gefiel es mir nicht, daß der Name den Eindruck erwecken könnte, die Band sei nach mir benannt. Daher beschloß ich, daß ich etwas ändern sollte. Das Mädchen, mit dem ich damals zusammen war, hatte zuvor einen Freund, der in einer Surfband spielte und sich Nikki Syxx nannte. Also habe ich den Namen kurzerhand geklaut...
Was wäre aus Frank Ferranna geworden, wenn ein gewisser Nikki Sixx nie in sein Leben getreten wäre?
Ich wollte nie etwas anderes machen, so daß ich mir nicht vorstellen kann, was ich sonst hätte tun wollen. Ein Künstler ist ein kreativer Mensch, und diese Kreativität muß man einfach rauslassen.
Es gibt allerdings unzählig viele Musiker, denen es nie vergönnt war, mit ihrer Kreativität ihren Lebensunterhalt zu verdienen und einem "normalen" Job nachgehen müssen.
Vielleicht wäre ich in diesem Fall im Knast gelandet... Aber es hätte für mich sicherlich auch andere Ausdrucksformen meiner Kreativität gegeben; so schreibe ich gerade ein Buch, das den Titel "The Heroin Diaries" tragen wird, ich fungiere zusammen mit den anderen MÖTLEY CRÜE-Musikern als Executive Producer für den Film, der auf unserem Buch "The Dirt" basieren wird, oder aber ich habe meine eigene Bekleidungslinie N. SIXX CLOTHING auf die Beine gestellt. Ich habe eine Menge Kreativität in mir, und solange ich diese umsetzen kann, bin ich glücklich, aber letztendlich komme ich immer wieder zur Musik zurück wie man an meiner neuen Band BRIDES OF DESTRUCTION sehen kann.
Viele Menschen fragen sich, wie wohl das Leben eines Rockstar, der mit einer Schauspielerin verheiratet ist, aussieht. Inwiefern unterscheidet sich Dein Leben von dem eines "gewöhnlichen" Menschen?
Letztendlich bin auch ich nur ein Mensch, und ein wichtiger Teil meines Lebens ist, daß ich ein Vater und Ehemann bin. Ich möchte meinen Kindern das geben, was ich nie hatte: Mein Vater und meine Mutter waren nie zusammen, so daß ich nie eine echte Familie hatte und bei meiner Großmutter aufwuchs. Daher ist es mir wichtig, eine starke Beziehung zu meiner Frau Donna D'Errico zu haben und so ein festes Fundament zu bauen, auf dem meine Kinder aufwachsen können. Sie können sehen, wie hart ich arbeite und wie leidenschaftlich ich mich in meine Arbeit reinhänge, aber dennoch bin ich in erster Linie ein Vater und jederzeit für sie da.
War es in den Achtzigern in L.A. üblich, daß Rockmusiker in den Kreisen von Filmstars und Modells sprichwörtlich "verkehrten"? Schließlich gab es mehr als eine Liaison zwischen Angehörigen dieser Welten.
Ich war sicherlich nicht nur mit Modells und Schauspielerinnen zusammen, aber ich glaube, daß es eine Verbindung zwischen Künstlern jeder Art gibt. Es gibt viele Gemeinsamkeiten und quasi ein blindes Verständnis untereinander.
Du wärest Mitte der Achtziger fast wegen einer Heroinüberdosis ums Leben gekommen. Welche Erinnerungen hast Du an diesen Tag? Dieses Erlebnis wird sicherlich auch in Deinem Buch auftauchen?
Ich habe eine sehr deutliche Erinnerung daran, und es war der Auslöser, daß ich begonnen habe, "The Heroin Diaries" zu schreiben. Wie der Titel schon andeutet ist es mein Tagebuch von 1986/'87, der Hochphase meines Drogenmißbrauches. Das Buch läßt den Leser an einem Jahr in meinem Leben teilhaben und beleuchtet meinen damaligen Lebensstil. Es wird alles enthalten, was geschehen war: Tourleben, Jets, Shows in Arenen, Drogenüberdosis, Verhaftungen und so weiter. Das Buch wird sich weder für noch gegen Drogen aussprechen, sondern es soll einfach ein unverhüllter Blick auf die damalige Realität sein.
Kannst Du Dir vorstellen, daß Deinem Buch ein ähnlich phänomenaler Erfolg beschert sein wird wie "The Dirt"?
Das möchte ich sehr bezweifeln, denn ich denke, daß 20 Jahre MÖTLEY CRÜE einfach viel interessanter und attraktiver sind. Aber ich glaube, daß mein Buch ein ganz anderes Publikum ansprechen wird, weil es sich grundlegend von "The Dirt" unterscheiden wird.
Gibt es Dinge in Deinem turbulenten Leben, die Du bereust oder die Du ändern würdest, wenn Du könntest?
Im Rückblick bereue ich absolut nichts, denn alles, was ich getan und erlebt habe, hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin.
Du bist lange am Abgrund entlanggetanzt. Gab es einen bestimmten Punkt, an dem Du Dein Leben geändert hast?
Wenn man im Leben wachsen möchte, muß man sich ständig vorwärtsbewegen und weiterentwickeln. Wenn man großes Glück hat, darf man eine Karriere wie Johnny Cash, Keith Richards oder B.B. King erleben. Auch diese Musiker haben sich immer weiterentwickelt und ihre neuen Erfahrungen und Gedanken in ihre Musik gesteckt, um sie mit anderen Menschen zu teilen. So konnten sie in guten und schlechten Zeiten überleben. Kein Mensch, für den wir uns interessieren oder zu dem wir aufschauen, ist durch und durch lupenrein und perfekt. Oder einfach auf den Punkt gebracht: Wie aufregend sind N*SYNC? Wir mögen Kontroversen, wir mögen Berge und Täler, wir mögen Underdogs! Gott hat mich zu dem Menschen geformt, der ich bin - aus welchem Grund auch immer.
Bist Du ein gläubiger Mensch? Glaubst Du, daß Gott Dich durch Dein Leben geführt hat?
Absolut. Ich glaube an Gott! Ich sehe in Gott gewissermaßen einen Radiosender: Er ist immer da, aber wenn man das Radio nicht anschaltet, kann man ihn nicht hören. Ich glaube, ich hatte in meinem Leben das Radio des öfteren abgeschaltet oder aber hörte einen anderen Sender.
Ein wichtiger Baustein für den Erfolg von MÖTLEY CRÜE waren sicherlich all' die Skandale und Gerüchte, die um die einzelnen Musiker rankten. "Any news is good news", dieses uralte PR-Prinzip scheint auf die CRÜE wie auf keine andere Band zuzutreffen!
Es ist richtig, daß es half, uns dorthin zu katapultieren, wo wir letztendlich landeten und daß wir dadurch bekannter wurden. Andererseits war es auch frustrierend, daß viele Menschen letzten Endes mehr über solche Dinge wußten als über unsere Musik.
Doch immerhin konntet Ihr diesen Umstand in Eurem Buch "The Dirt" gehörig ausschlachten und daher beachtliche Verkaufszahlen erreichen. Der Erfolg war so groß, daß es nun einen Film geben wird, der auf "The Dirt" basieren wird. Wie weit ist dieses Projekt fortgeschritten?
Wir haben einen Schreiber namens Rich Wilks angeheuert, der das Drehbuch zu dem Film "XXX" geschrieben hat. Rich hat das Script fast fertiggestellt, und wir haben einen Vertrag mit PARAMOUNT FILMS und MTV FILMS unterschrieben. Diese beiden Firmen werden sich perfekt um die Vermarktung und den Vertrieb des Films kümmern können.
Werden die vier MÖTLEYs sich selbst spielen, oder habt Ihr für diese Rollen schon bestimmte Schauspieler anvisiert?
So weit sind wir leider noch nicht, so daß diese Entscheidungen erst in einigen Monaten anstehen werden. Auf jeden Fall soll der Film 2005 in die Kinos kommen.
In den letzten Monaten gab es endlos viele Gerüchte über die Zukunft von MÖTLEY CRÜE. Mal hieß es, daß einige der Musiker sich nie im Leben nochmal sehen möchten, und dann wurde behauptet, daß die Band schon für einige Sommerfestivals in diesem Jahr bestätigt sei. Mal hörte man, die Band wolle nur eine Abschiedstour spielen, und dann war zu lesen, daß eine neue Platte fast fertig sei. Könntest Du uns bitte aufklären, was der wahre Stand der Dinge ist!
Im Moment sieht es so aus, daß wir im Sommer 2004 beginnen werden, wieder miteinander zu proben, um neue Songs zu schreiben und eine neue Platte in Angriff nehmen zu können. Touraktivitäten stehen dann wahrscheinlich ab 2005 auf dem Plan.
Also zu gut Deutsch: Wer sich erhofft, MÖTLEY CRÜE auf einem Festival zu sehen, sollte nicht über das Jahr 2004, sondern über 2005 nachdenken?
Exakt!