UNDERGROUND EMPIRE 7-Datasheet |
Contents: ACROSTICHON-Interview |
Date: Februar 1993 (estimated, created), 24.11.2021 (revisited), 22.01.2022 (updated) |
Origin: UNDERGROUND EMPIRE 7 |
Status: published |
Task: from paper to screen |
Availability: original printed issue sold out! Several earlier issues still available; find details here! |
Comment: Das ACROSTICHON-Interview gehörte zu jenen Seiten, die recht gelungen gestaltet waren: Die Seite hatte einen dunkelgrauen Hintergund mit weißer Schrift, wobei auf der zweiten Seite der Story zusätzlich noch das Bandlogo in noch etwas dunklerer Version hinterlegt war. Als Eröffnung war das ACROSTICHON-Logo zu sehen, das ich hochkant gedreht hatte. Daneben befand sich das Bandphoto, das nun auch die Story eröffnet - und zwar ebenfalls freigestellt, so daß man hinter den Musikern ebenfalls den grauen Hintergrund sah. Es dürfte wohl einer meiner ersten Versuche gewesen sein, ein Photo freizustellen. Darunter war dann der Interviewtitel in einer kantigen Schrift zu sehen, wobei die Buchstaben weiß mit schwarzem Rand waren; lediglich bei dem Wort "Black" war dies herumgedreht gewesen, so daß die Schrift schwarz und die Outline weiß war. Dies konnten wir hier natürlich nicht nachbauen, dafür haben wir zwei Livephotos hinzugegeben, die bei diesem Konzert entstanden sind. Das genaue Datum der Show, die übrigens auf der kleinen Bühne im Keller des "Haus der Jugend" stattfand, ist mir nicht mehr bekannt, aber das Konzert fand irgendwann an Fasching 1993 statt, worauf die Luftschlangen hindeuten, die irgendwelche Fans den Musikern um die Instrumente geschlungen hatten. Not very Death Metal... - kein Wunder, daß Corinne auf dem Livephoto so erzürnt starrt. |
Supervisor: Stefan Glas |
Okay, sie werden sicherlich nicht den Death Metal revolutionieren, das gebe ich zu. Also warum ein Interview mit ACROSTICHON? Gründe gibt's derer viele! Erstens mal ist ihre Todesmucke von jenem Format, das mir sehr angenehm ist: erfreulich klischeefrei, druckvoll, durchdacht, strukturiert, straight und mit Hirn in Musik und Text. Außerdem haben ACROSTICHON eine Besonderheit, die im Death Metal doch recht selten ist: eine Sängerin. Als es sich dann noch ergab, daß die Band angekündigt hatte, sich für ein Konzert im Ludwigshafener "Haus der Jugend" einzunisten, düsten Heiko und ich gen LU, um die günstige Gelegenheit schamlos auszunutzen. Das Konzert zeigte die Band in sehr gutem Lichte, ließ in mir das Gefühl wachwerden, daß die Band das gewisse Etwas hat und bekräftigte den Entschluß, die während der Hinfahrt gesammelten Fragen in Richtung Band loszuwerden. Also pferchten sich nach dem Gig vier Musiker, ein Roadie, eine Managerin, diverse Fans sowie ein Walkmanhalter im Backstageraum zusammen, der etwa den gleichen Grundriß aufwies wie ein mittelprächtiger Campingtisch, und es begann ein munteres Durcheinandergerede, das später nahezu nicht mehr zu entwirren war! Glückliche Jugend...
Als ich neulich mein Lexikon fragte, was ACROSTICHON bedeutet, zuckte es nur mit den Schultern. Ich erbitte Aufklärung!
Richard: Es ist ein holländisches Wort. Es ist eine Gedichtart, die im Mittelalter von verschiedenen Bruderschaften verwendet wurde. Wenn man bei einem solchen Gedicht die ersten Buchstaben der betonten Worte hintereinanderstellt, ergibt es einen Satz.
Jos: Das Wort klingt geheimnisvoll. Ich hasse diese ganzen Klischeenamen, und wir wollten nicht so sein. Wir wollten ein anderes Image.
Ich hatte gerade eben noch etwas Zeit über Euer Textblatt drüberzufliegen und habe erfreut festgestellt, daß Ihr nicht diese unsäglichen Standardtexte habt. Wie es scheint, wollt Ihr Euch auch in dieser Hinsicht von anderen Bands abheben!
Jos: Ja, das ist richtig. Zu Beginn hatten wir noch einige Klischeetexte, aber ganz besonders die Texte der neuen Songs gehen in eine ganz andere Richtung!
Dennoch sind Eure Texte negativ gehalten!
Serge: Wir haben einen neuen Song, der sich ›Happy‹ nennt und davon handelt, wie glücklich wir uns fühlen...
Jos: Schau' Dich doch um, siehst Du irgendwo etwas Positives? Die Welt ist absolut kaputt, und wir schreiben über das, was wir rund um uns herum sehen und was uns passiert. Was wir sehen, ist keineswegs schön, und so fallen unsere Texte eben negativ aus!
Ihr reflektiert also, was in der Welt passiert!
Serge: Ja, wir schildern unsere persönliche Sicht der Dinge, die in der Welt passieren. Allerdings schreiben wir keine politischen Texte. Ein Text über den Krieg in Jugoslawien wirst Du bei uns nicht finden.
Mir fiel irgendwann ein unscheinbarer Flyer in die Hand, auf dem verkündet wurde, daß ACROSTICHON ihr Debut veröffentlicht haben. Ich weiß nicht, welcher Teufel mich ritt, aber ich kontaktete also Euer Label INTELLECTUAL CONVULSION, auf deren Unterlabel MODERN PRIMITIVE »Engraved In Black« erschienen ist, und kam so vor etwa einer Woche an ein Advance Tape Eurer Scheibe. Dank Heikos Insiderinformationen weiß ich noch, daß Ihr zwei Demos und eine Single gemacht habt. Den wissenswerten Rest, über ACROSTICHON könntet Ihr jetzt mal kurz zusammenfassen!
Jos: Wir haben im Sommer 1989 gestartet, als wir endlich einen Proberaum fanden. Wir hatten die Idee, eine Band zu gründen, schon lange gehabt, aber konnten erst zu diesem Zeitpunkt loslegen. Corinne, Richard und ich waren immer zusammen, aber wir hatten einige Wechsel auf der Drummerposition bis wir 1990 endlich Serge fanden. Dann ging es auch schon los und wir spielten Ende 1990 mit CARCASS, wodurch wir viel populärer wurden und so die Möglichkeit kriegten, mit MORBID ANGEL, DEATH oder SODOM zu spielen. Irgendwann haben wir dann den Plattenvertrag gekriegt.
Serge: So - who made the band?!?
In Eurem Info steht, daß Ihr ziemlich viel live spielt. Heute seid Ihr nur wegen eines Gigs Hunderte von Kilometern aus Holland hierhergefahren. Wie ist das für Euch möglich?
Richard: Weil wir blöd sind... Also haben wir einen Kleinbus gemietet und sind für den Auftritt hier hergefahren. Allerdings muß man sagen, daß es nicht so weit war - etwa 400 Kilometer.
Jos: Unsere Unkosten sind gedeckt, aber wir werden heute abend sicherlich nichts verdienen. Allerdings geht es bei der Musik auch nicht darum, Kohle zu scheffeln. Wenn man Geld verdienen will, darf man nicht Musik machen, sondern muß im Musikbusiness sein.
»Engraved In Black« hat Colin Richardson produziert, der mittlerweile ein recht bekannter Name in der Szene ist. Wie habt Ihr diese Chance bekommen?
Jos: Nun ja, unser Label bestand darauf, daß wir mit Colin Richardson aufnehmen. Wir wollten absolut nicht mit ihm arbeiten - klingt krass, oder? Die Plattenfirma wollte den Namen Colin Richardson aus verkaufsstrategischen Gründen auf dem Cover stehen sehen, und so mußten wir ihn nehmen. Wir sind bei einem sehr kleinen Label, und wir sind derzeit die größte Band dort. Daher kratzten sie all' Ihr Geld zusammen und engagierten Colin Richardson.
Serge: Er hat die Hälfte des Budgets verschlungen. Colin hat im Studio kaum etwas gemacht und stattdessen Fußball gespielt. Man muß allerdings sagen, auch wenn er nicht viel getan hat, das, was er angepackt hat, hat er sehr gut gemacht! Trotzdem hätten wir viel lieber selbst produziert, so daß wir hätten können länger im Studio bleiben und hätten alles so machen können, wie es unseren Vorstellungen entsprach.
Jos: Wir wußten, welchen Sound wir wollten, er aber wußte es nicht. Wir hatten auch schon jemand gefunden, der uns im Studio geholfen hätte. Kennst Du VENGEANCE noch? Der ehemalige Gitarrist von VENGEANCE hätte uns geholfen, und er wußte exakt, was wir wollten. Es mag seltsam wirken, da die Musik von VENGEANCE etwas anders klang als unsere, aber er kennt sich im Studio super aus und weiß wie man einen guten Sound zusammenbastelt.
Warum habt Ihr eigentlich bei einem solchen Minilabel unterschrieben, wo derzeit Firmen wie NUCLEAR BLAST, CENTURY MEDIA, EARACHE oder PEACEVILLE mit Deals nur so um sich werfen. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß niemand an einer Band wie ACROSTICHON Interesse hatte!
Jos: Wir wollten für PEACEVILLE aufnehmen, hatten aber über ein Jahr lang nichts von ihnen gehört, so daß wir dachten, sie wären nicht interessiert. Daher unterschrieben wir bei MODERN PRIMITIVE da sie uns zu diesem Zeitpunkt den besten Deal anboten. Eine Woche später rief Hammy von PEACEVILLE an und sagte, daß er uns einen Vertrag anbieten wollte, aber gerade gehört habe, daß wir schon bei MODERN PRIMITIVE unterschrieben hätten. Zu den größeren Labels wie NUCLEAR BLAST wollten wir nicht, denn das ist nicht die Art, in der wir arbeiten wollen.
Ihr habt vor der Debutscheibe etwas getan, das in der Death Metal-Szene gang und gäbe ist: Ihr habt auf einem anderen Kleinstlabel, SERAPHIC DECAY, eine Single mit zwei Demosongs veröffentlicht. Warum?
Serge: Die Single wurde besser vertrieben als unsere Demos, also - warum nicht?
Jos: In Holland waren unsere Demos sehr verbreitet, weil wir dort natürlich die meisten Gigs spielten und dabei stets die Demos verkauften. Aber im Ausland war es sehr schwer, die Demos an den Mann zu kriegen - besonders in Amerika. SERAPHIC DECAY kommt aus Amerika, und so konnten wir mit Hilfe der Single unseren Namen auch in den Staaten etwas publikmachen.
Ich würde Eure Musik als extremen Thrash mit deathtypischen Grunzvocals bezeichnen. Verspürt Ihr gesteigerte Lust, mich für dieses Statement um die Ecke zu bringen?
Richard: Ja!!! Wir reißen Dir auf der Stelle den Kopf ab!
Jos: Wenn Du es so nennen willst, dann ist uns das recht. Uns ist es egal, wie man unsere Musik nennt. Da soll jeder seinen eigenen Namen finden! Wir spielen die Musik, die wir mögen und geben einen Dreck darum, ob es jetzt Death, Thrash, Speed oder Hardcore ist. Wir mögen die Death Metal-Szene sehr und kennen dort eine Menge cooler Leute, aber mir ist es egal, ob man uns zu dieser Szene zählt oder nicht!
Gut, dann erklärt mir doch mal, warum ACROSTICHON anders sind als andere Death Metal-Bands!
Serge: Wir sind hübsche Jungs...
Jos: Wir machen einfach die Musik, die aus unseren Herzen kommt. (Für diese Aussage erntet er lautstarkes Gegröhle und Lästerrufe von allen Rängen. - Red.)
Serge: Schreib' das bloß nicht!!!
Jos: Ich weiß nicht, ob und inwiefern wir anders sind. Ich kann nicht objektiv über meine eigene Musik urteilen! Das sollen andere unter sich ausmachen, was uns von anderen Bands unterscheidet. Solange uns die Musik, die wir spielen, gefällt, ist es uns egal, was andere darüber sagen!
Die Frage war doch im Grunde total einfach! Zumindest ein Gesichtspunkt, den Ihr hättet nennen können, sitzt hier direkt neben mir: Eure Sängerin und Bassistin Corinne! War es von Anfang an geplant, eine Sängerin in der Band zu haben, wo sicher auch kommerzielle Aspekte mitschwingen oder war es Zufall? Wie habt Ihr sie kennengelernt?
Jos: Sie ist meine Schwester, und ich kenne sie mittlerweile seit 22 Jahren (Aha, danke für die Aufklärung... - Red.). Es waren keinerlei Hintergedanken dabei, als wir Corinne das Mikro vor die Nase stellten. Es ist einfach passiert, und sie wurde unsere Sängerin, weil wir ihren Gesang mögen!
Corinne, Deine Vocals haben nichts, wodurch man sie als weiblich identifizieren könnte. Im Gegenteil, Deine Vocals könnten auch von einem Mann stammen! Wäre es für Dich nicht befriedigender und für die Band kennzeichnender, wenn Du Deinen Gesang persönlicher, individueller gestalten würdest, so daß man auch erkennen kann, daß hier ein Mädchen singt?
Corinne: Genau das passiert derzeit! Bei den neuen Liedern singe ich anders als bisher. Ich setzte verstärkt eine cleane Stimme ein. Ehrlich gesagt, ist es stinklangweilig, wenn man eineinhalb Stunden nur Gegrunze geboten kriegt.
Benutzt Du eigentlich einen Harmonizer, um Deine Stimme so klingen zu lassen?
Corinne: Nein.
Und wie überlebt das Deine Stimme?!?
Corinne: Ich weiß wirklich nicht! Aber wie Du hören kannst, klingt meine Stimme jetzt nach dem Konzert ziemlich angeschlagen, zumal ich zusätzlich noch eine Grippe habe.
Man kann feststellen, daß nahezu alle Frauen, die sich als Musiker auf dem Metalsektor tummeln, mit Kleidung, Make-up und ähnlichen Scherzen ihre Weiblichkeit betonen und diese für sich arbeiten lassen. Du stehst dagegen in Turnhosen und Schlabberpulli auf der Bühne!
Corinne: Ich bin einfach ich selbst. Ich laufe privat so rum. Warum sollte ich also auf der Bühne vorgeben, jemand anders sein oder mich anders geben als sonst?
Ist es nicht der Gipfel der Arroganz im Death Metal einen fünfsaitigen Baß zu spielen? Ich kenne viele Bassisten, die ohne Ihren Fünfsaiter nicht mehr leben möchten, weil er so schön tief runter geht und ihnen einen größeren Tonumfang offeriert. Was sind Deine Gründe gewesen?
Corinne: Ich sah diesen Baß und war verliebt. Ich mußte das Teil einfach haben.
Richard: Außerdem hat er den Vorteil, daß ein tiefes b drauf ist. Da wir unsere Gitarren fünf Halbtöne tiefer auf b gestimmt haben, ist das sehr hilfreich. Wenn man einen normalen Baß auf das tiefe b stimmt, hängen die Saiten wie Wäscheleinen durch.
Ich glaube, es ist klingt durch, daß sich bei ACROSTICHON in Zukunft einiges ändern wird. Erzählt uns mehr darüber!
Jos: Es ist nicht so, daß wir uns bewußt verändern wollen, sondern wir entwickeln uns weiter! Die Songs von »Engraved In Black« wurden von 1988 bis 1991 geschrieben. Die Songs, die wir im letzten Jahr geschrieben haben, sind noch unveröffentlicht. Sie sind viel ausgereifter, weil wir uns verbessert haben. Wir haben kein bestimmtes Ziel, sondern wir werden immer das tun, was wir wollen. Das, was wir wollen, ändert sich jedoch, weil wir älter werden und andere Perspektiven sehen. Vielleicht machen wir in einigen Jahren ganz andere Musik! Jedoch bin ich mir sicher, daß es immer noch Metal sein wird. Im Moment jedoch bleiben wir extrem!
So extrem wie sie auch auf ihrem Debut »Engraved In Black« sind. Die Platte, die jedem, der hin und wieder mal Death Metal verzehrt, ein Ohr wert sein sollte, müßte eigentlich in den besser sortierten Läden zu finden sein. Sollten sich trotzdem Probleme ergeben, schreibt an:
http://www.facebook.com/acrostichondeathmetal/
|
|
© 1989-2024 Underground Empire |