Versuche, einst wunderbar funktionierende Bands nach langfristiger Pause wieder an den Start zu bringen, gibt es bekanntermaßen immer wieder. Oftmals sind diese aber nur von kurzer Dauer, und ebenso häufig kommt es vor, daß lediglich ein einziges Original-Bandmitglied bestrebt ist, die Sache wieder ins Laufen zu bringen. Nachvollziehbar daher, daß die Fans inzwischen ein gewisses Sättigungsgefühl verspüren, wenn davon die Rede ist.
Bei HELLOWEEN dagegen lief es von Beginn anders. Zum einen, weil die Formation nie aufgelöst, oder auch nur "auf Eis gelegt" war, und zum anderen, weil die bloße Ankündigung, was sich im Lager der "Kürbisköpfe" abspielen würde, das Fanherz sofort in Wallung zu versetzen vermochte. Da die Gerüchte, die Band würde sich als Septett - also zusammen mit den ehemaligen Mitgliedern Michael Kiske und Kai Hansen - auf Tournee begeben, tatsächlich in die Realität umgesetzt werden konnten und die Truppe mit »United Alive« 2019 auch noch ein mehr als nur imposantes Livedokument davon veröffentlichte, war klar, daß HELLOWEEN wieder zurück sind. Und zwar genau so, wie es sich die Fans wohl nur noch in ihren kühnsten Träumen erhofft hatten!
Doch auch die Musiker selbst waren davon schwer begeistert, und so wurde beschlossen, die unter dem Banner "Pumpkins United" laufende Tournee fortzusetzen. Zwar wurde dieses Unterfangen aus bekanntem Grund im Vorjahr jäh gestoppt, die inzwischen abermals verschobenen Tourdaten sind mittlerweile aber für Frühling 2022 anberaumt worden. Diese Verschiebung hat aber zumindest auch eine durchaus positive Seite. Bis dahin bekommen die Fans nämlich die nötige Zeit, um sich die Songs des bis vor kurzer Zeit noch undenkbar gehaltenen, neuen Studioalbums anzueignen, um in der Livesituation auch bei diesen Tracks sattelfest zu sein. Besagter Dreher, der auf den schlichten Titel »Helloween« getauft wurde, ist selbstredend auch das Hauptgesprächsthema mit Kai Hansen. Der "zurückgekehrte, verlorene Sohn" nahm sich für die Zeit und beantwortete gutgelaunt und auskunftsfreudig sämtliche Fragen.
Sämtliche Entscheidungen und Vorgänge rund um HELLOWEEN konnte man in den letzten Jahren mitverfolgen. Nicht wirklich bekannt ist dagegen, wann denn eigentlich die Idee geboren wurde, eine Fortsetzung in Angriff zu nehmen.
Zugegeben, da war man zunächst ein bißchen vorsichtig. Schließlich stand zwar die Idee im Raum, mich und Michael wieder in die Band zu integrieren, doch wie die Geschichte funktionieren würde, konnte niemand vorhersagen. Da ein solches Vorhaben eine gehörige Vorlaufzeit in Anspruch nimmt, wird es wohl nur wenig verwundern, daß wir eigentlich schon seit 2015 in der aktuellen Besetzung gemeinsame Sache machen. Die ersten Gespräche diesbezüglich dürften wir so gegen 2012/2013 geführt haben.
Wie ging es dann weiter?
Zunächst haben wir uns erst einmal getroffen, um etwaige, noch im Raum stehende Themen aus der Vergangenheit aus der Welt zu bekommen. Damit war die Basis für weitere Kooperationen gelegt. Danach ging es zusammen in diverse Proberäume und Studios. Allerdings war zu diesem Zeitpunkt noch nicht das Einstudieren der Songs für die Tournee auf dem Programm, sondern eher eine Art Bestandsaufnahme. Ich würde sagen, wir haben uns zu einem internen "Band-Workshop" getroffen, um auszuloten, was geht und was möglich sein könnte.
Der "Workshop" dürfte überaus erfolgreich verlaufen sein, denn gegen Ende 2017 ging es schlußendlich auf die "Pumpkins United"-Tournee.
Absolut! Wir wußten genau, wie weit wir gehen konnten und worauf wir achten mußten. Je näher die Tournee rückte, um so sicher waren wir, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Die Reaktionen waren aber dennoch überwältigend. Uns allen war zwar bewußt, welches Standing HELLOWEEN in Südamerika innehaben und gingen sehr wohl mit dem Gedanken, von einer Welle der Euphorie empfangen zu werden, auf Gastspielreise Die Reaktionen konnten wir aber erst danach so richtig fassen, und erst nach dem Ende auch genießen. Ab diesem Zeitpunkt war jedoch klar, daß es auf jeden Fall weitergehen sollte.
Heißt im Klartext, daß die Entscheidung, gemeinsam an einer neuen Platte zu arbeiten, ohne eine derart erfolgreiche Tournee gar nicht getroffen worden wäre. Oder kurz: Ohne diese Tour würden wir wohl heute nicht über »Helloween« sprechen?
Genau. Wir waren uns darüber im Klaren, daß im schlimmsten aller Fälle, die Band nach eventuellen Problemen auf dieser Tour sogar Geschichte sein könnte. Ebenso aber auch, daß wir damit vielleicht den Startschuß für einen neuen Karriereabschnitt liefern können.
Gut für uns, daß es zu zweiterem gekommen ist. Darf man den Titel denn als entsprechendes Statement interpretieren?
Meinetwegen. [lacht] Generell hatten wir jedoch sehr wohl im Sinn, uns für einen Titel zu entscheiden. Doch irgendwie fanden wir keinen, der für alle passend war. Von den Songtiteln her hatten wir zunächst ›Skyfall‹ im Sinn, aber auch ›Out For The Glory‹ stand kurzzeitig im Raum. Irgendwann mal kam dann Sascha mit dem - für alle anderen zu diesem Zeitpunkt noch eher einfallslos und wenig originellen - Vorschlag angetanzt, wir könnten den Dreher doch auch schlicht und ergreifend »Helloween« betiteln. Die Euphorie hielt sich zunächst in Grenzen, doch je länger wir darüber nachdachten, um so mehr kristallisierte sich der eigentliche Sinn der Sache heraus. Mittlerweile sind wir allesamt begeistert davon, weil es in der Tat der optimale Hinweis darauf ist, daß für HELLOWEEN etwas Neues auf dem Programm steht. Ebenso geil ist aber auch das Artwork geworden, das jede Menge Hinweise auf unsere bisherige Geschichte liefert.
Da bin ich ganz bei Dir. Für mich ist es sogar durchaus denkbar, daß die Band nun sogar größer wird als je zuvor. Die Voraussetzungen dürften aktuell generell perfekt dafür sein, und zudem sind Euch ausnahmslos Songs gelungen, mit denen Ihr sämtliche Fanwünsche auf einen Schlag erfüllen könnt. Wie lange habt Ihr denn gebraucht, um Euch darauf zu einigen?
Danke für das Lob, so was hört man immer gerne. Auch das Komponieren der Tracks war ein Lernprozeß, der im Prinzip mit dem "Workshop" begonnen hat. Schließlich waren unsere Egos seinerzeit einer der Gründe für diverse Unstimmigkeiten. Diese galt es nun also, im Vorfeld entsprechend in Zaum zu halten, bevor es ans gemeinsame Erarbeiten der Songs ging. Da auch dieses Unterfangen ohne jegliche Probleme bewältigt werden konnte, stand den Aufnahmen nichts mehr im Weg. Die waren im Vergleich zu früher wesentlich einfacher. Aufgrund der modernen Technologien ist es schließlich längst kein Problem mehr, daß sieben Musiker an unterschiedlichsten Plätzen dieses Erdballs zeitgleich an Material arbeiten können. Früher wäre es nicht möglich gewesen, uns gegenseitig Ideen zukommen zu lassen, wenn wir uns nicht persönlich getroffen hätten. Es hätte vor einigen Jahren - auch ohne jegliche Beschränkungen, die uns momentan das Leben schwermachen - einfach nicht funktioniert, daß Michael in Hamburg im Studio sitzt, während Andi von seinem Homestudio in Teneriffa, und ich von meinem hier in der Slowakei aus, zusammen an einem Song gearbeitet hätten. So aber konnte jeder im Vorfeld seine Ideen festhalten, und sich an den Songs der anderen beteiligen. Diese Form der Kooperation funktionierte bestens. Einen alleinigen Songwriter gab es bei HELLOWEEN schließlich nie, und daran wird sich auch nichts ändern! Aufgrund der unterschiedlichen persönlichen Herangehensweisen und Stärken ist das neue Material auch facettenreicher ausgefallen, als das früher der Fall war. Das ist aber irgendwo auch logisch. Nimm allein den Unterschied zwischen Andi und Michael. Während der eine aus dem Bauch heraus an Songs arbeitet, die allesamt durchweg im klassischen Hard Rock zu verorten sind, gibt es für den anderen weder vom technischen Aspekt her noch sonst irgendein Limit. Im Endeffekt hat das Arrangieren der Gesangspassagen zwar fast gleich viel Zeit in Anspruch genommen wie das Erarbeiten der Grundstrukturen der einzelnen Tracks. Und das nicht, weil ich auch noch mitmischen durfte. [lacht] Im Ernst, meine Kollegen haben wahrlich blendende Arbeit geleistet. Ich denke, wir können mit Recht stolz auf die Scheibe sein!
Ganz sicher! Denn nicht nur bei meiner Wenigkeit wird »Helloween« am Ende dieses Jahres in der "Album des Jahres"-Liste Berücksichtigung finden.
Photos: Martin Häusler [Photo 1], Franz Schepers [Photo 2]