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  UE-Home → History → Online Empire 81 → Interview-Übersicht → AVATARIUM-Interview last update: 18.03.2024, 21:42:28  

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Spätestens mit ihrem letzten Album »Hurricanes And Halos« hat sich diese schwedische Formation in der Szene etabliert. Nicht zuletzt, weil sie mit ihrem eigenständigen und originellen Stil sowohl eingeschworene Doom Metal-Fans als auch Fans von eleganten, aufwühlenden Damengesängen für sich gewinnen konnte. Da sich zudem auch noch diverse andere Einflüsse und Elemente heraushören lassen, wurden auch an sich nicht zwingend dem Metal zugewandte Zeitgenossen auf AVATARIUM aufmerksam.
Der Erfolgslauf der von Sängerin Jennie-Ann Smith und ihrem Ehemann Marcus Jidell angeführten Band dürfte sich weiterhin fortsetzen. Mit ihrem aktuellen Dreher »The Fire I Long For« schließt die Truppe nämlich nicht nur an den Vorgänger an, sondern übertrumpft diesen sogar auf mehreren Ebenen. Zum einen konnten die Stärken noch weiter ins Rampenlicht gerückt werden und zum anderen erweist sich die stilistische Mixtur facettenreicher denn je.
Die Hintergründe dazu (und vieles mehr) erläuterte uns Marcus am Telefon, da wir uns in die abendliche Familienidylle (Jennie-Ann und Marcus sind stolze Eltern eines knapp einjährigen Jungen) einklinken durften.

AVATARIUM-Bandphoto 1

Für mich klingt »The Fire I Long For« zwar durchaus wie der logische Nachfolger zu »Hurricanes And Halos«, ich meine aber jede Menge an Änderungen ausmachen zu können, allen voran einen wieder etwas erhöhten Doom Metal-Anteil. Wie kam es dazu? Gibt es eine Erklärung dafür?

Zunächst einmal möchte ich festhalten, daß es meine Intention war, die Gitarren wieder mehr in den Vordergrund zu rücken und die Riffs Metal-lastiger anzulegen. Ich muß zugeben, daß ich aus heutiger Sicht mit der vorigen Scheibe nicht mehr ganz zufrieden bin. Ich finde »Hurricanes And Halos« war zu sehr auf Classic Rock gebürstet und irgendwie ein "Nummer Sicher"-Album.

Auffallend ist aber auch - allen voran im von einem knallharten, Iommi-Gedächtnisriff eingeleiteten Opener ›Voices‹, aber auch im eher fragilen ›Porcelain Skull‹ - ein gewisser Hang zu orientalischer Melodik.

Korrekt. Ich bin zwar eingeschworener Hard Rock- und Heavy Metal-Fan, doch ich liebe auch unzählige andere Formen von Musik. Unter anderem habe ich ein Faible für orientalische Folklore, da ich deren Melodien einfach faszinierend und mitreißend finde. So wirklich bewußt eingebaut habe ich diese Elemente zwar nicht in unsere Songs, aber als ich dabei war, die Gitarrenpassagen von ›Voices‹ auszuarbeiten, sind mir diese Einsprengsel sehr wohl aufgefallen. Da sich die Mischung für uns alle sehr stimmig angehört hat, blieb die Nummer aber dann doch so bestehen.

Fein. Änderungsgrund hätte es dafür nämlich wirklich keinen gegeben. Doch nicht nur orientalisches Liedgut läßt sich aus dem eleganten wie zugleich betörenden Mix herausdestillieren, es gibt noch jede Menge andere Zutaten, die »The Fire I Long For« zu einer stimmigen Scheibe werden lassen...

Cool, daß Du das genauso siehst wie ich. [lacht] Ja, ich habe ein ausgeprägtes, bisweilen bei AVATARIUM aber noch nicht in diesem Ausmaß eingebrachtes Faible für Blues in nahezu allen Facetten. Deshalb klingt meine Gitarre mitunter mehr nach deftigem Blues Rock als nach Classic oder Hard Rock. Es war also meine Intention, mein Arbeitsgerät wieder ähnlich wie auf den ersten beiden Alben klingen zu lassen. Schließlich stammen meine Einflüsse vorrangig von BLACK SABBATH, DEEP PURPLE, RAINBOW und LED ZEPPELIN.
Daß zusätzlich auch noch Einsprengsel aus dem Jazz und dunkle, düstere Gospel-Einflüsse auf der Scheibe Einzug gehalten, geht weniger auf meine Kappe. Sehr wohl aber die, nennen wir sie einfach "kalifornischen" Einflüsse, denn ich habe auch eine Vorliebe für entspannte, psychedelische Spät-60er/Früh-70er Westcoast-Sounds. Ganz besonders mag ich THE DOORS, aber auch Crosby, Stills, Nash & Young haben es mir angetan.

AVATARIUM-Headline

Wie darf man sich das Songschreiben bei Euch denn generell vorstellen? Nimmst Du Deine ersten Ideen irgendwo im Alleingang auf oder komponieren Jennie-Ann und Du von Beginn an im Familienverbund, bevor der Rest der Band involviert wird?

Im Prinzip trifft beides zu. Ich hab' mir inzwischen sogar ein Handy mit einer wirklich brauchbaren Aufnahmefunktion zugelegt. Ich weiß, damit bin ich alles andere als "Up-To-Date", denn das machen wesentlich jüngere Musiker schon viel länger, irgendwie war mir diese Technik bislang aber noch nicht wirklich sympathisch. Egal, inzwischen bin ich damit ganz gut unterwegs und kann bei Bedarf tatsächlich meine Ideen für Riffs, oder was auch immer, überall kurzfristig festhalten.
Am eigentlichen Kompositionsvorgang hat sich dadurch aber nichts geändert. Da wir uns zu Hause ein wirklich gut ausgestattetes, dem aktuellen Stand der Technik entsprechendes Studio eingerichtet haben, sind es nach wie vor Jennie-Ann und ich, die für das Songmaterial von AVATARIUM zuständig sind.
Meistens läuft das auch ganz unkompliziert ab: Ich spiele ihr meine Riffs vor, und sie hat dann recht rasch eine Idee für eine passende Gesangsmelodie. Dann basteln wir gemeinsam so lange, bis wir eine Basis für einen Song fertig haben. Danach kommen unser Drummer Andreas Johansson und Organist Rickard Nilsson ins Spiel, und es entstehen spontane Jams, die nachträglich zu einem strukturierten Song rekonstruiert werden müssen. Es kommt aber auch vor, daß es komplett andersrum läuft. Das heißt wir müssen eine Nummer vom Grundriff her aufbauen und akribisch an den Melodien arbeiten.

Verstanden. Allerdings fehlt mir ein Name, der bislang ebenso zu AVATARIUM gehörte, auch wenn er als Musiker zuletzt nicht mehr zum Line-up gehört hat: Leif Edling. War er denn nicht mehr involviert?

Aber sicher doch! Leif ist einer meiner besten und innigsten Freunde. Er kommt mehrmals die Woche vorbei und sehr häufig endet sein Besuch damit, daß wir im Studio an einer, oder gar an mehreren Songideen feilen. So gesehen hat sich Deine Frage wohl von selbst beantwortet, oder? Leif ist zwar seit einigen Jahren schon kein Bandmitglied mehr, am Songwriting war er aber immer beteiligt und wird das wohl auch in Zukunft sein. Konkret hat er für »The Fire I Long For« an drei Tracks mitgewirkt.

Klingt gut und läßt darauf schließen, daß sich - sofern die Frage gestattet ist - sein Gesundheitszustand wieder verbessert hat.

Definitiv! Er muß zwar immer noch diverse Medikamente nehmen, doch zumindest hat er seinen Gesundheitszustand seit einigen Monaten wieder so weit unter Kontrolle, daß es ihm von ärztlicher Seite aus sogar gestattet war Konzerte zu spielen. Klar, daß er diese für CANDLEMASS genutzt hat, schließlich handelt es sich dabei ja um sein "Baby". Für Studiotätigkeiten und vor allem für das Bearbeiten von Songideen und Basic Tracks bei uns zu Hause, steht er uns aber dennoch gerne und - sofern es sich mit seinem Zeitplan vereinbaren läßt - jederzeit zur Verfügung.

AVATARIUM-Singleshot: Jennie-Ann Smith

Da Leif und Du offenbar nicht nur persönlich blendend harmoniert, sondern ganz offensichtlich auch aus derselben musikalischen Ecke kommt, ist eine Zusammenarbeit ja regelrecht vorprogrammiert. Womit ich beim nächsten Thema angekommen wäre: THE DOOMSDAY KINGDOM!

Auch wenn es für viele so ausgesehen hat, als ob es sich dabei um eine kurzlebige Angelegenheit gehandelt hätte, wird es wohl auch zu »The Doomsday Kingdom« einen Nachfolger geben. Es ist zwar korrekt, daß Leif den Großteil des Materials damals aus eher therapeutischen Zwecken für sich allein komponiert hat, doch je länger der Entstehungsprozeß andauerte, um so mehr konnten ich und die anderen Kollegen uns auch einbringen. Einen Arbeits- oder Zeitplan gibt es zwar noch nicht, aber ich bin mir ziemlich sicher, daß eines Tages ein zweites THE DOOMSDAY KINGDOM-Album veröffentlicht wird! An Songideen mangelt es Leif definitiv nicht, wenn ich allein bedenke, wie viele Songfragmente wir beide zusammen hier bei mir im Archiv auf Vorrat haben, bin ich sicher, daß kein Mangel herrscht.

Von "Mangelerscheinungen" welcher Art auch immer, dürfte bei Dir generell keine Rede sein, schon gar nicht, wenn es um Musik geht. Daher interessiert mich auch noch die Inspiration zum Titel Eures aktuellen Werkes. Ich persönlich denke, daß ich bei AVATARIUM das "Feuer" erst gar nicht suchen muß. Ich habe eher den Eindruck, Euer inneres Feuer brennt lichterloh!

Das ist eine wirklich coole Interpretation, danke! Diese Anschauung haben weder wir bislang in irgendeiner Form in Betracht gezogen, noch hätte es uns jemand so gesagt! Irgendwie fühlen wir uns jetzt bestätigt, denn wir haben uns deshalb für diesen Titel entschieden, weil er wirklich großen Interpretationsfreiraum zuläßt. Unserer eigenen Auffassung nach hat es etwas mit dem Leben im Jenseits zu tun. Wir hatten in den letzten Jahren nämlich einige schwere persönliche Schicksalsschläge, wie Verluste von Familienmitgliedern zu verkraften und waren daher immer wieder mit Glaubens- und Sinnfragen konfrontiert. Die haben sich eben auch auf den Titel und auf unsere Texte ausgewirkt, die generell sehr persönlich ausgefallen sind. Das war schon immer so bei uns, nur eben von Album zu Album situationsbedingt völlig unterschiedlich, schließlich ist nicht nur die Musik eines Albums zum jeweiligen Zeitpunkt eine Momentaufnahme, sondern auch die Texte. Ausgenommen natürlich etwaige Fortsetzungsgeschichten oder konzeptionelle Ausführungen, aber so etwas gab es bei uns ohnehin noch nie.

Als gemeinsamer Nenner aller Eurer Scheiben läßt sich aber - nicht zuletzt aufgrund des schlichtweg unfaßbar fesselnden Gesangsvortrags Deiner Gattin - auf jeden Fall ein gewisses Geborgenheitsgefühl erwähnen. Denn egal, welche Scheibe man auch auflegt, als Hörer hat man das Gefühl sich von AVATARIUM förmlich durch diese "tragen" lassen zu können. Da spielen die Texte mit Sicherheit eine nicht unwesentliche Rolle.

Das sehen wir genauso! Wenn Texte egal wären, würden wir wohl nur noch Instrumentalmusik machen, zumindest wär' das besser. [lacht] Doch dem ist definitiv nicht so! Und solange der Alltag für Inspiration sorgt, braucht Ihr Euch diesbezüglich auch keine Sorgen zu machen. Wir interessieren uns zwar sehr wohl auch für psychedelisch und esoterisch angehauchte Themen, eine gewisse Erdung ist bei uns aber immer vorhanden. Dafür stehen wir einfach zu sehr mit beiden Beinen am Boden und im Alltagsleben.

Leider nicht so oft steht ihr allerdings auf den Bühnen dieser Welt. Bislang sind für die nähere Zukunft nämlich lediglich zwei Gigs in Schweden fixiert. Kommt da noch mehr?

Mal sehen. Wir sind momentan zumindest mit einigen Festivalveranstaltern für die kommende Sommersaison am Verhandeln. Fix ist aber noch nix. Also, erst mal abwarten, was sich noch an Einzelgigs ergibt. Mehr geht kaum, denn für eine längere Tournee ist unser Junior noch zu klein.

http://www.facebook.com/avatariumofficial

Vorbereitung, Interview & Bearbeitung:
Walter Scheurer

Photos: Phil Jamieson [Photo 1], Alex Hinchcliffe [Photo 2]

AVATARIUM im Überblick:
AVATARIUM – All I Want (Rundling-Review von 2014 aus Online Empire 61)
AVATARIUM – Death, Where Is Your Sting (Rundling-Review von 2023 aus Online Empire 94)
AVATARIUM – Hurricanes And Halos (Rundling-Review von 2017 aus Online Empire 71)
AVATARIUM – Online Empire 72-Interview (aus dem Jahr 2017)
AVATARIUM – Online Empire 81-Interview (aus dem Jahr 2019)
AVATARIUM – News vom 09.05.2013
Playlist: AVATARIUM-Album »Death, Where Is Your Sting« in "Jahrescharts 2022" auf Platz 4 von Walter Scheurer
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