Nach dem doch etwas polarisierenden »The Astonishing« hat die US-amerikanische Prog-Ikone mit »Distance Over Time« knapp drei Jahre später wieder ein neues Studioalbum am Start. Da dieser Veröffentlichungsrhythmus inzwischen offenbar zur Routine geworden ist und sich die Fans in der letzten Dekade nicht immer ausreichend bedient gefühlt hatten, durfte man durchaus neugierig sein, was die Herrschaften auf ihrem aktuellen Dreher denn zu bieten haben würden.
Jede Menge, denn der aktuelle Dreher ist von einer für die Herren Petrucci, Myung, LaBrie, Rudess und Mangini nun wahrlich nicht unbedingt Standard-mäßigen Kompaktheit geprägt. Außerdem ist die Dichte an sich sofort ins Gedächtnis einfräsenden Hooks von unglaublicher Intensität, weshalb es »Distance Over Time« nach Meinung vieler Fans auch locker mit der "internen" Konkurrenz - sprich mit fast allen der dreizehn Studioalben davor - aufnehmen kann.
Wie es zu diesem Hammerteil überhaupt kommen konnte und was es sonst noch alles zum aktuellen Stand der Dinge im Lager der Formation zu wissen gibt, erklärte uns Drummer Mike Mangini, der sich zum Telefonunterview zur Verfügung stellte.
Es kam zwar nicht ganz überraschend, Dich als Interviewpartner angeboten zu bekommen, einen gewissen Hauch von Premiere scheint die Chose aber schon zu haben, oder?
Interviews sind für mich zwar bisher eher selten an der Tagesordnung gestanden, Neuland ist das aber nicht für mich. Sehr wohl aber, daß ich zum ersten Mal von Anfang an ins Songwriting der Scheibe involviert war. Dadurch fühle ich mich endgültig in der Band angekommen. Es scheint, als ob mein Integrationsprozeß nun endlich abgeschlossen ist, und von daher macht es auch Sinn, daß ich jetzt wesentlich häufiger in Interviews meinen Senf abgebe.
Das macht Sinn. Und wohl auch Spaß, denn mehr denn je zu einem DREAM THEATER-Album beitragen haben zu können, muß ein verdammt gutes Gefühl sein, oder?
Oh, ja! Ich bin mit meiner aktuellen Situation wirklich glücklich. Auch, weil ich mich darin bestätigt fühle, wenn man uns attestiert, daß »Distance Over Time« an die stärksten Momente der Band erinnert. Ebenso darin, daß es dem Zuhörer den Eindruck eines "Bandalbums" vermittelt. Genau das war nämlich unsere Absicht!
Das klingt nach einem ziemlich konkreten Plan. Gab es denn einen solchen?
Absolut. Als wir im Vorfeld zu Bandmeetings getroffen hatten, wurde vereinbart, daß wir es diesmal auf eine Art und Weise versuchen wollten, die bislang nicht Usus gewesen ist und in der Vergangenheit auch nicht ganz so einfach zu handhaben gewesen wäre. Im Endeffekt war es weit mehr als nur das Aufnehmen eines Albums, sondern eine Art "Selbstfindungsprozeß" für die Band als Kollektiv.
Ein Plan allein ist aber meistens noch nicht alles. Wie sah es denn mit der Umsetzung aus?
Um alles auch entsprechend umsetzen zu können, haben wir uns in den "Yonderbarn Studios" in Monticello im Bundesstaat New York eingenistet. Und zwar sprichwörtlich, denn wir haben dort mehrere Wochen gemeinsam verbracht. Der Grund dafür lag selbstverständlich auch am Studio selbst, das nach dem neuesten Stand der Technik eingerichtet ist und es uns ermöglichte, ein Album nach unseren Wünschen und Bedürfnissen aufnehmen zu können. Doch da war noch viel mehr!
Und zwar?
Wir konnten auch das großzügige Areal inmitten der Natur genießen, und wenn einen so etwas nicht inspiriert, was bitte dann? Wer schon mal im Spätsommer im Upstate New York gewesen ist, kann in etwa nachvollziehen, wie wohl wir uns dort gefühlt haben. Irgendwie war es für mich so wie damals in der Kindheit, auf einem Sommercamp irgendwo in der Pampa. [lacht]
Eine solche Umgebung muß einfach inspirierten, keine Frage. Aber war das alles?
Nein, da war noch viel mehr. [lacht] Da wir sprichwörtlich aufeinanderklebten und Tag und Nacht zusammen verbrachten, war die Arbeitsweise logischerweise eine andere als sonst. Vielleicht lag es aber ja auch gerade daran, daß jeder von uns bestrebt war, so schnell wie möglich auf den Punkt zu kommen und fertig zu werden. [lacht] Im Ernst, dermaßen fokussiert kann man nur arbeiten, wenn alle Beteiligten zur selben Zeit am selben Ort sind. Dadurch klingen viele Songs für den Zuhörer spontaner als man es von uns als Band gewohnt ist. Zu recht, denn keiner von uns hatte auch nur einmal das Bedürfnis, seinen Part mehr in den Vordergrund zu rücken.
Hat sich Euer gemütliches Beisammensein auch auf die Texte ausgewirkt?
In gewisser Weise schon, zumindest auf die Spontanität. Besonders stolz macht es mich, daß ich zum ersten Mal auch dazu etwas beitragen konnte! Nachdem ich mich schon für einige Tracks mit diversen Ideen und sogar Riffs und Vorschlägen für Baßfiguren eingebracht hatte, spielte John eines Tages ein Riff, das mich an einen Film denken ließ. John war davon sehr angetan und meinte ›Room 137‹ wäre ein cooler Songtitel. Den Text haben wir dann gemeinsam ausgearbeitet. Es ist uns relativ leicht gefallen, zu dieser harten Nummer die entsprechenden Worte zu finden. Auf die lyrische Komponente legen wir generell großen Wert. Es liegt uns zwar fern, uns als Band in irgendeiner Form als "Prediger" zu verstehen oder dem Zuhörer eine Meinung aufzudrängen, aussagekräftige und zur Musik passende Texte machen einen Song erst komplett. Sie sind ein essentieller Teil und runden das Gesamtbild ab.
Womit wir auch den letzten Puzzleteil des aktuellen Mördergeräts namens »Distance Over Time« erörtert hätten. Bleibt nur noch zu hoffen, daß die Herrschaften auf ihrer nächsten Gastspielreise mit dem Titel "The Distance Over Time Tour 2019" mehr als nur den einen oder anderen Song vorstellen. Obwohl: Es gibt Schlimmeres als das dafür festgelegte reichhaltige "Best Of"-Programm, das anläßlich des 20. Jahrestags das legendäre »Metropolis Pt. 2 - Scenes From A Memory« enthalten wird - und zwar komplett!
Photos: Mark Maryanovich