Vor kurzer Zeit erst wurde die Prog-Metal-Ikone FATES WARNING für ihren Auftritt im Original-Line-up beim diesjährigen "Keep It True"-Festival heiliggesprochen und ließ die Hoffnung vieler Fans auf eine abermalige Studiokooperation in dieser Besetzung aufkeimen.
Doch Bandoberhaupt Jim Matheos sieht dafür keinerlei Bedarf, schließlich befindet sich auch die aktuelle Besetzung in blendender Verfassung. Gemeinsam mit Ray Alder (Vocals), Joey Vera (Baß) und Bobby Jarzombek (Drums) hat der Saitengenius nahezu zeitgleich zu besagtem Event »Theories Of Flight« startklar gemacht. Zur Entstehungsgeschichte des aktuellen Drehers mußte man den Amerikaner erst gar nicht lange um Hintergrundinformationen bitten.
Jim, die Band beeindruckt im Moment in jeder Hinsicht, nicht zuletzt mit einer für Eure Verhältnisse regelrecht sensationellen Präsenz. Was ist los? Woher die plötzliche Motivation?
[Lacht] Ich kann ich mir denken, daß ihr in Europa glaubt, man hätte uns plötzlich aus einem Schlaf erweckt! Da man bei uns in der letzten Dekade den Eindruck gewinnen konnte, es würde nur noch sehr gemächlich zur Sache gehen, kann ich es wirklich gut nachvollziehen, wenn man sich über die verhältnismäßig kurze Pause seit der letzten Veröffentlichung wundert. »Darkness In A Different Light«, unser letztes Studioalbum aus dem Jahr 2013 hatte allerdings in der Tat eine überaus motivierende Wirkung auf mich, weshalb ich im Prinzip unmittelbar nach der Veröffentlichung mit dem Komponieren neuer Songs begonnen habe.
Das macht insofern Sinn, da sich so mancher Fan auf Anhieb an eben jenes Werk erinnert fühlt, wenn er »Theories Of Flight« hört. Gibt es einen Zusammenhang der beiden Scheiben?
Was die Musik betrifft, nicht wirklich. Sehr wohl aber in Bezug auf die Herangehens- und Arbeitsweise. Dadurch mag es auch sein, daß so mancher Zuhörer eine Verbindung dieser beiden Scheiben heraushören wird.
Und wohl auch in Bezug auf die Atmosphäre, denn beide Alben vermitteln ein ähnlich intensives Gefühl. Beim aktuellen Dreher überkommt einen dieses Gefühl sogar nahezu durchgehend. Hängen die Songs der neuen Scheibe denn zusammen?
Einen konzeptionellen Hintergrund gibt es nicht, einen "roten Faden" aber sehr wohl. Grundsätzlich kann ich es aber gut nachvollziehen, wenn man meint, ein durchgehendes Konzeptalbum zu hören. Das liegt in erster Linie an der Stimmung der Scheibe. Auch die Emotionalität einiger Songs ist sehr ähnlich und dürfte daher einen solchen Eindruck beim Hörer hinterlassen. Das rührt daher, daß ich bei den ersten Kompositionen immer wieder ähnliche Gedanken hatte, die ich vertonen wollte. Das härteste Stück Arbeit kam daher auf Ray zu, der ja unsere Texte verfaßt. Er mußte sich mit meinen musikalischen Auswüchsen und Grundgedanken erst einmal auseinandersetzen und sich somit quasi in mich hineinfühlen. Genau das ist ihm einmal mehr auf grandiose Weise gelungen, und zudem sind in ihm offenbar ähnliche Emotionen hochgekommen wie es bei mir der Fall war.
Das klingt in der Tat nach echtem "Teamwork", oder noch mehr nach einer fast familiären Angelegenheit.
Das stimmt, Ray ist aber auch so etwas wie ein Bruder für mich! Von daher ist das Arbeiten mit ihm auch eine sehr relaxte Geschichte. Wir sind uns in gewisser Weise sehr ähnlich und hatten auch schon oft ganz ähnliche Ansichten zu diversen Themen. Das hat sich nun eben auch beim Songwriting ausgewirkt. Weshalb auch immer, habe ich zwar noch nicht reflektiert, aber ich hatte diverse Begebenheiten meiner Jugend im Sinn, in der ich sehr häufig übersiedeln mußte. Speziell ›The Ghosts Of Home‹ ist von diesen durchaus gemischten Gefühlen geprägt, die Ray dann eben auch im Text perfekt umzusetzen wußte, weil er dieses Gefühl aus seiner Jugend kennt.
Von diesem zehnminütigen Monumental-Epos wurde im Vorfeld berichtet, es würde als Titelsong diesen. Warum kam es dann doch ganz anders?
Zum einen, weil man dann wohl noch vielmehr den Eindruck gehabt hätte, dem Album würde eine durchgehende Story zu Grunde liegen. Das war aber weniger Grund für den späteren Titel, denn es kam noch etwas dazu. Als ich mich auf die Suche nach einem passenden Artwork begeben hatte, bin ich dann auf dieses Gemälde des aus Michigan stammenden Künstlers Graceann Warn gestoßen. Ich fand das Bild dermaßen beeindruckend, daß ich mich spontan dazu entschied, es ohne jegliche Veränderungen als Cover zu verwenden. Allerdings war damit die Änderung des eigentlichen Titels, wie auch die Umbenennung des nun als Titelsong fungierenden Tracks, der eigentlich ›Ghosts‹ hätte heißen sollen, nötig. Doch das alles war für mich kein Thema, denn ich hatte ein Wahnsinnsbild zur Verfügung, das schlicht perfekt zum Album paßt.
Keine Widerrede, die Scheibe klingt nicht nur verdammt gut, man kann das gute Stück sehr wohl auch als überaus ansehnlich bezeichnen, wie wohl auch der aktuelle Status der Band. Wie aber wird es denn jetzt weitergehen? Mehr in Richtung Vergangenheit, nach Eurem überragenden Auftritt beim "Keep It True", oder doch eher in Richtung Zukunft mit dem neuen Dreher im Gepäck?
Das Festival war der Hammer, keine Frage. Dennoch möchte ich die Geschichte als Ausnahme betrachtet wissen. Auch wenn es wohl die einfachste Sache der Welt wäre, diese FATES WARNING-Ausgabe abermals auf die Bühne zu bringen, kam es für mich nie in Frage, die Band generell wieder an diesen Punkt zurückzuführen. Schon im Vorfeld wurde ich mehrfach danach gefragt, wohl auch, weil die Proben für den Reunionauftritt in dieser Besetzung logistisch ganz einfach zu bewerkstelligen waren, da wir allesamt nahezu in der Nachbarschaft beheimatet sind.
Ich komme aber mit Ray, Bobby und Joey dermaßen gut klar, daß es nicht nur musikalisch ein abruptes Ende einer perfekt harmonierenden Konstellation wäre, es würde auch unsere langjährige Freundschaft ernsthaft gefährden, und die Musiker von FATES WARNING sind und bleiben auch in Zukunft gute Freunde!
Von gemeinsamen Proben oder dergleichen, können wir zwar leider nur träumen, da wir Tausende von Meilen voneinander entfernt wohnen, doch das schadet zum Glück weder der Band an sich, noch der zwischenmenschlichen Beziehung. Daher freue ich mich jetzt schon tierisch darauf, die Jungs demnächst endlich wieder einmal zu treffen. Auch wenn es nur zum Einstudieren der neuen Songs wenige Tage vor der Tour ist und wir in erster Linie zum Arbeiten zusammenkommen.
Photos: Stephanie Cabral