Dave Mustaine mag zwar nicht jedermanns Freund sein und hat durch so manche Äußerung in der Vergangenheit mitunter selbst die tolerantesten seiner Fans irritiert. Wenn jedoch neues Ohren-Futter aus dem Hause MEGADETH auf dem Programm steht, verkommt das alles zur Randerscheinung und die Aufmerksamkeit innerhalb der Metal-Gemeinde ist nur noch darauf gerichtet. Völlig zu recht, wenn man sich »Dystopia«, den mittlerweile fünfzehnten Dreher des Unternehmens, zu Gemüte führt.
Auch wenn bis zur offiziellen Veröffentlichung zwar noch einige Zeit verstreichen wird und sich das Teil erst in der Promo-Aufwärmrunde befindet, zeigt sich der Meister von den bisherigen Kommentaren zu seinem jüngsten Baby überaus erfreut und erweist sich zudem als überaus eloquenter und auskunftsfreudiger Zeitgenosse.
Was gibt es denn zur Entstehungsgeschichte der Scheibe zu berichten?
Die ersten Ideen und Riffs sind bereits vor gut drei Jahren entstanden. Damals war nicht abzusehen, daß es tatsächlich so lange dauern würde, ehe wir ein neues Album an den Start bringen können. Durch diverseste Umstände geriet der Fortschritt jedoch recht bald ins Stocken, so haben unter anderem die notwendigen Umbesetzungen sehr viel Zeit in Anspruch genommen. Darüber will ich mich aber nicht näher äußern und erst recht nicht beschweren, denn das Ergebnis zeigt, daß jede meiner Entscheidungen richtig war.
Wie kam es schlußendlich zum Engagement deiner neuen Mitstreiter? Was hat für Kiko Loureiro und Chris Adler gesprochen?
Ganz ehrlich: Von Kiko wußte ich zunächst überhaupt nichts. Ich kannte weder ANGRA, noch eines seiner anderen Betätigungsfelder. Allerdings hatten mich sein Stil und seine Art, Gitarre zu spielen, sehr schnell überzeugen können. Der Knabe ist schlicht ein Genie! Außerdem hat mir seine intuitive Art und Weise imponiert, ebenso seine Technik und auch, daß wir einen ähnlichen musikalischen Background haben, hat für ihn gesprochen. Noch wichtiger als sein Können war jedoch die Tatsache, daß Kiko ähnlich fühlt und empfindet wie ich und wir uns auf Anhieb einig waren, wie welcher Song zu klingen hat. Bei Chris war es ähnlich, auch er hat mich mit seinem Spiel sofort begeistert. Der Kerl hat sich in den letzten Jahren nicht nur als Teil von LAMB OF GOD in der Szene etablieren können, er hat sich längst auch in die Champions League seiner Zunft gespielt. Zusätzlich sprach für ihn, daß auch er ein langjähriger MEGADETH-Fan ist. Dadurch waren Auditions mehr oder weniger hinfällig, denn Chris hatte auf Anhieb jede noch so komplizierte Drum-Figur aus dem Effeff parat und wußte darüber hinaus auch sehr viel über die Hintergründe einzelner Tracks. Einen Sonderapplaus hat sich Chris obendrein für seine Kondition verdient, denn der Kerl hat vor kurzer Zeit ganz locker und lässig und ohne auch nur ansatzweise müde zu wirken auf unserer vor wenigen Tage erst beendenden UK-Tour zusammen mit LAMB OF GOD in beiden Bands gespielt und Vollgas gegeben. Ich hab' ab und zu sogar nach hinten zu seinem Arbeitsplatz geguckt, um zu sehen, ob er nicht endlich zu schwitzen beginnt. Aber Chris scheint ein echtes Tier hinter dem Kit zu sein und wohl noch in drei anderen Bands spielen können, ohne ein Problem damit zu haben durchzuhalten.
Beeindruckend. Dennoch erweckt es den Eindruck, als ob Technik für Dich zwar wichtig zu sein scheint, Gefühl für die Musik selbst aber noch essentieller?
Auf jeden Fall! Vor allem deshalb, da mir schon bei den ersten Ideen für die neuen Songs ein Klangbild vorschwebte, das den Zuhörer von seiner Spontaneität und seiner Rohheit an die Ursprünge der Band und des Thrash generell erinnern sollte.
Die eindeutig in Richtung der "alten Schule" tendierende Brachialität der Scheibe war also geplant?
Durchaus, auch wenn mir nicht klar sein konnte, ob sich die Ideen alle auch umsetzen lassen würden. Spätestens aber als klar war, wer nun bei MEGADETH mit dabei sein würde, hatte ich keinerlei Bedenken mehr. Als wir als Team an den Songs feilten, waren erst zwei Drittel des Materials fertig. Daher ist der Einfluß der beiden Jungs beachtlich, auch wenn ich diesbezüglich im Vorfeld noch nichts planen konnte. Ein kontinuierlicher Arbeitsprozeß ergab sich aber dennoch recht schnell, weshalb die Aufnahmen an sich sehr entspannt abliefen und wir zudem sofort das Gefühl hatten, alles richtig gemacht zu haben.
Auch wenn es bislang noch keine Möglichkeit gegeben hat, die Texte mitzulesen, scheinst Du abermals viel mitzuteilen zu haben.
Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Die Texte sind nach vor ein absolut essentieller Bestandteil meiner Songs. Thematisch habe ich mich zwar erneut nicht wirklich festgelegt, ein roter Faden dürfte aber dennoch für den Hörer zu erkennen sein. Denn egal, ob ich mich mit politischen, religiösen, oder auch eher persönlichen Themen beschäftige, jeder meiner Songs hat eine Aussage. Auch die Titel sollten selbsterklärend sein. Ich glaub' nicht, daß man die Message des Titeltracks oder von ›Post American World‹ weiter erläutern muß.
Das kann man leider nur bestätigen, denn aktueller als ›The Threat Is Real‹ erscheint nach den Bombenattentaten von Paris (das Interview fand nur wenige Tage später statt, MEGADETH befanden sich an jenem Abend auf dem Retourweg von England in Richtung USA - der Verf.) kein anderer Song auf diesem Erdball.
Da hast Du leider recht! Eine Katastrophe! Jetzt sind wir alle noch vielmehr zur Zusammenarbeit gefordert. Ein solches Thema läßt sich nur mit vereinten Kräften behandeln, alles andere hätte nicht nur wenig Sinn, es wäre obendrein zu gefährlich, denn wer weiß schon, ob sich nicht die eine oder andere Staatsmacht vernachlässigt oder sonst was fühlen würde. Allerdings wird am Album nichts mehr verändert, auch die Reihenfolge der Tracks nicht.
Thematisch durchaus vergleichbar, musikalisch jedoch mehr als nur ein wenig "anders" wirkt ›Foreign Policy‹, Eure Coverversion eines alten FEAR-Tracks.
Da es sich hierbei um eine echte Hammer-Nummer handelt, die jedoch leider zu wenigen Metal-Freaks bekannt ist, habe ich mich dafür entscheiden. Nicht zuletzt ist dieser Track als Tribut an Lee Ving zu betrachten. Ein echt feiner Kerl, von dem ich bei unserem gemeinsamen Projekt MD.45 eine Menge lernen durfte.
Photos: Chapman Baehler