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  UE-Home → History → Online Empire 8 → Rubriken-Übersicht → Special-Übersicht → Die DT 64 Story - Hard & Heavy-Special last update: 27.03.2024, 15:23:21  

Die DT 64 Story - Vol. 2: Hard & Heavy

In unserem Review zum »Geil auf Heavy Metal«-Sampler hatten wir schon erwähnt, daß die BMG den Gesamtkatalog von AMIGA, dem staatlichen und somit einzigen Label der DDR, aufgekauft hat. Diese haben nun in Zusammenarbeit mit DT64, dem damaligen Jugendprogramm des DDR-Rundfunks, eine Samplerreihe zusammengestellt. Dabei sind 15 CDs entstanden, die unter ganz unterschiedlichen Mottos, von Pop und Rock, über Schlager bis zu Jazz, stehen. Uns interessiert natürlich am meisten die zweite CD dieser Reihe, die sich "Hard & Heavy" nennt. Obgleich diese bereits 1996 erschienen ist, soll sie uns nun doch als Anlaß für ein Special dienen, da sie uns einen Rückblick auf die harte Musik zu DDR-Zeiten gestattet.

Sinnvollerweise wurden auf diesem Sampler alle Songs weitgehend in chronologischer Reihenfolge geordnet, so daß die beiden Oldtimer BABYLON und PRINZIP den Anfang machen: Der BABYLON-Song ›Dynamit‹ stammt von 1976, sollte aber erst 1988 als Titelsong der einzigen Full Length-Scheibe fungieren, so daß wir es hier mit einer Aufnahme zu tun haben, die für den Rundfunk angefertigt wurde - auch wenn so etwas im Westen eine pure Utopie gewesen wäre, handelt es sich dabei um ein Phänomen, das in der DDR durchaus anzutreffen war. Der Song läßt sich am ehesten zwischen Bands wie DEEP PURPLE oder URIAH HEEP einordnen, während PRINZIP in etwa mit den damaligen SCORPIONS vergleichbar waren.

Die nachfolgenden FORMEL I, die wohl größte und erfolgreichste DDR-Metalband, wurden vor allem nach Veröffentlichung ihres Livealbums »Live im Stahlwerk« gerne als die ostdeutschen IRON MAIDEN bezeichnet, vor allem weil sie auf besagter Scheibe in Form von ›Hallowed Be Thy Name‹ eine MAIDEN-Nummern coverten. Doch auf dem 1983 entstandenen Song ›Eddie‹ ist die jungfräuliche Verwandtschaft weitaus weniger zu beobachten, da er eher mit einer Southern/Biker-Schlagseite versehen war.

Die Formation BERLUC fährt indes erstaunlich harte Gitarren mit einem gewissen Maß an Atmosphäre auf, was der Band einen eigenen Touch verleiht. Textlich indes gibt die Nummer eher zum Schmunzeln Anlaß, denn ›Nach Haus‹ handelt eben genau von diesem Vorgang, dem Nachhausekommen. Aber generell durfte man bei den wenigsten DDR-Bands große Textkunst erwarten, denn kritische Töne waren ohnehin untersagt und da jede Band ihre Texte vor Veröffentlichung absegnen lassen mußte, wurden solche Dinge von den staatlich beauftragten Kontrolleuren vorab zensiert, so daß bei DDR-Bands häufig Texte über das Rockersein oder über Zwischenmenschliches an der Tagesordnung waren. Nur die wirklich großen Künstler schafften es, mittels metaphorischer Texte auch mal heiße Eisen anzupacken, während ansonsten im Liedgut des Arbeiter- und Bauernstaates doch eher Handfestes angesagt war.

Ähnliches gilt auch für die Nummer ›Heavy Braut‹ von der Gruppe PLATTFORM, die mit solchen Textzeilen wie "Feierabend im Büro, weg das Kleid und Leder übern Po" oder "im Notfall nehm' ich den Bus, weil ich heute noch zum Heavy muß" einen unbestreitbaren Kultfaktor hatte. Musikalisch zählt diese Nummer, die seinerzeit schon auf dem 22. »Kleeblatt«-Sampler von AMIGA aus dem Jahr 1987 veröffentlicht worden war, mit seinem unbekümmerten, frischen Riff und seinem frechen Gesang von Michaela "Micky" Burghardt seit jeher zu meinen Lieblingsnummern aus DDR-Produktion.

Das ungewöhnlichste Stück des Samplers - und vermutlich der gesamten DDR-Metalszene - ist ›Lied des Galgenbruders an Sophie das Henkersmädel‹ von MCB; diese Abkürzung sollte angeblich für "Motor City Band" stehen und die Truppe, die übrigens ebenfalls auf dem gleichen »Kleeblatt«-Sampler vertreten waren, wurde oft mit MOTÖRHEAD verglichen, doch diese Nummer ist ein schlürfend-kriechendes, häßlich-dissonantes Stück, das sich definitiv keiner Kategorisierung unterordnet.

Also schnell zurück in den Normalbereich, wo wir auf COBRA treffen, die die dritte und letzte Band auf dem 22. »Kleeblatt«-Sampler mit dem Titel »Hard & Heavy« waren, und konventionellen Heavy Rock mit Posereinschlag spielen. FEUERSTEIN indes tönen nicht nach der "Fred & Barney Bluesband", sondern sind eher wieder ein recht MOTÖRHEAD-lastiger Kandidat, was vor allem am sehr Lemmy-lastigen Gesang von Karsten Slansky liegt.

Eine der interessantesten Bands der DDR waren die nun folgenden BIEST, die wir in UNDERGROUND EMPIRE 3 mit einem Interview bedacht hatten. Wie vielseitig die Band, generell dem normalen Metal zugetan, war, beweist die Nummer ›Grab im Moor‹, die man durchaus als eine der wenigen Doomnummern bezeichnen kann, die in der DDR entstanden waren.

Sehr viel einfacher macht es uns da die nächste Band: Wo METALL draufsteht ist auch schweres Metall drin und erlaubt uns, eine Runde mit dem ›Easy Rider‹ durch die Pampa zu brettern. Die Band firmierte später übrigens unter dem Namen HEADLESS.

Die Combo ROCHUS beweist indes mit ihrem 1988 entstandenen ›Let's Thrash‹, daß der Ruf der härteren Stilrichtungen bis in die DDR vorgedrungen war - auch wenn hier der Titel nicht unbedingt Programm war, sondern eher schneller Heavy Metal mit leicht speedigen Gitarren angesagt war. Stilistisch ähnlich, wenn auch etwas weniger extrem, geht es bei HARDHOLZ zu, deren ›Asphalt Lady‹ in Uptempo-Metal gekleidet wurde.

Ein weiteres Highlight ist die Truppe CHARLIE, die ich seinerzeit dank des »Rock-Bilanz«-Samplers von 1989 kennengelernt hatte. AMIGA zog damals mit den »Rock-Bilanz«-Zusammenstellungen das Resumeé über die Labelveröffentlichungen eines Jahres. CHARLIEs ›Turn Away‹ ist ein exzellenter Melodic Metal-Track, wegen dessen ich damals versucht hatte, ein Interview mit CHARLIE an Land zu ziehen. Doch in der Antwort stand zu lesen, daß die Band nichts mehr mit metallisch angehauchten Tönen am Hut habe, sondern sich nunmehr auf ihr zweites Standbein konzentrieren wolle, mit dem man ein Oldiesprogramm spielte. CHARLIE waren somit eine der vielen Bands, die gewissermaßen der Wiedervereinigung zum Opfer fielen, wie letztendlich kaum eine dieser Bands nach dem Ende der DDR überleben konnte: Schließlich hatten jene Bands, die damals einen Deal mit AMIGA unterschrieben hatte, den Vorzug, staatlich subventionierte Musiker zu sein, denen nun die Aufgabe zukam, den panem-produzierenden Bauern und die panem-verzehrenden Arbeiter ein bißchen circenses zu bescheren. Und so sollte auch CHARLIE mit dem alten System seinen Niedergang erleben, da man gegen die neuen Mitbewerber nicht konkurrenzfähig war und zudem viele der DDR-Bürger sich nach dem Mauerfall auf jene Bands stürzten, die für sie so lange verboten gewesen waren. Nicht umsonst hatten viele DDR-Bands ein umfangreiches Coverprogramm drauf oder erinnerten oftmals frappierend an eines der großen Westvorbilder - und plötzlich war dieses Methadonprogramm überflüssig geworden...

Ganz anders klingen indes DR. ROCK, die instrumental wie schlaffere EXCITER klingen, dies allerdings mit einem Sprechgesang paaren, der bei ›Metal Man‹ streckenweise nicht so wirklich mit dem Song harmonieren will. Den Abschluß machen schließlich MERLIN, die als einzige Band ihren Song komplett auf Englisch vortragen und denen es auch anschließend gelingen sollte, eine Zeitlang an ihrer Karriere zu stricken: So sollte aus MERLIN die Truppe GRACIOUS VIOLENCE hervorgehen, deren Sänger Mario Le Mole anschließend bei MIND ODYSSEY eine Heimat fand. So tauchte ihr exzellenter Song ›After The War‹, der durchaus an HELLOWEEN erinnerte, auch auf dem CD-Sampler ›Speed Up‹ auf, der ebenfalls etliche DDR-Bands beheimatete.

An dieser Stelle endet also unser Special, das verdeutlichen sollte, daß auch in der DDR schon früh harte Klänge angesagt waren. Wer sich zu diesem Thema noch etwas intensiver belesen möchte, dem sei das unlängst vorgestellte Buch von Birgit und Michael Rauhut mit dem Titel »Amiga« empfohlen, in dem alle AMIGA-Veröffentlichungen vorgestellt wurden. Diesbezüglich sei allerdings darauf hingewiesen, daß nur wenige der Songs, die auf diesem Sampler stehen, auch offiziell in Scheibenform bei veröffentlicht worden waren. Manche Band mag auf dem Weg zu einem Deal mit AMIGA gewesen sein; am weitesten von diesem aufstrebenden Bands kamen BIEST, die es noch bis zu einer Veröffentlichung in der "AMIGA-Quartett"-Serie schafften, einer Singlereihe, bei der jede 7"-Vinylscheibe insgesamt vier Songs enthielt. Doch dann kam ihnen der Untergang des maroden realsozialistischen Systems zuvor, bevor sie sich in die Liste der wenigen harten Bands wie FORMEL I, PRINZIP oder BABYLON, die eine Langspielplatte bei AMIGA veröffentlichen konnten, eintragen konnten. Die meisten Nummern auf dieser CD wurden nämlich in der Tat für DT 64 produziert und demzufolge nur im Radio ausgestrahlt, was die Bedeutung dieser Sendung zu DDR-Zeiten mehr als verdeutlicht - schließlich konnte ja nicht jeder problemlos die "Feindsender" empfangen...


Stefan Glas


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