Es ist unbestritten, daß in Frankreich einige sehr talentierte Acts ihr Unwesen treiben. Doch seit dem Split von SORTILÈGE Ende der Achtziger warten wir auf eine Truppe, die es schaffen kann, auch jenseits der Grenzen unseres Nachbarlandes für Furore zu sorgen. Doch die Durststrecke ist endlich beendet!
Der Hoffnungsträger hört auf den Namen MANIGANCE und hat unlängst in Form von »Ange ou demon« ein Album veröffentlicht, das perfekten Power Metal enthält, der vor grandiosen Melodien und unwiderstehlichen Hooks strotzt.
Dabei kommt diese Scheibe nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel, denn die Musiker haben ihr Handwerk von der Picke auf gelernt, wie uns Gitarrist François Merle bestätigen kann:
Das ist richtig: Jeder von uns macht schon seit über zehn Jahren Musik. Unser Sänger Didier Delsaux war zunächst bei BLIND PANTHER und spielte später zusammen mit unserem Drummer Daniel Pouylau bei CRAZY HAMMER. Unser Basser Marc Duffau war Mitglied von DALLY DALTON und Bruno Ramos, mein Partner an der Gitarre, spielte bei MISTREATED. Lediglich unser Keyboarder Florent Taillandier war noch in keiner bekannteren Band gewesen.
Von allen diese Bands gibt es Demoaufnahmen und CRAZY HAMMER sowie MISTREATED haben Platten veröffentlicht, die von Sammler heißbegehrt sind. Warum hat es keine Eurer ehemaligen Bands erfolgstechnisch weiter gebracht?
Damals war die Situation eine andere: Zum einen waren wir damals sehr viel jünger und es ging uns damals eher um den Fun, aber wir hatten keineswegs ein großes Augenmerk auf das Business und eine mögliche Karriere gelegt. Es kommt hinzu, daß die Promotionmöglichkeiten in Frankreich zu diesem Zeitpunkt nicht besonders gut waren.
Du selbst warst bei KILLERS, die deutlich mehr reißen konnten.
Ich kam vor der zweiten Platte »Mise Aux Poings« zur Band und spielte ebenso die nächsten beiden Platten »Résistances« und »Cités Interdites« mit ihnen ein. Es war toll, daß ich bei KILLERS einsteigen konnte, denn ich war noch sehr jung und zudem ein Fan der Band. Damals war das spielerische Level der Band noch nicht allzu hoch, so daß wir uns gemeinsam verbessern konnten. Dennoch war es das Beste, daß wir uns freundschaftlich getrennt haben, denn ich wollte in eine technischere, progressivere Richtung weitergehen, während Bruno Dolheguy, der Kopf von KILLERS, eher die speedige Note verstärken wollte.
Danach gestattete ich mir eine kurze Auszeit, um mein Studium abzuschließen und dann nahm ich Kontakt mit Didier auf, um MANIGANCE ins Leben zu rufen.
Und das war 1995, richtig?
Ja - und wir haben MANIGANCE aus reinem Spaß am Musikmachen gegründet; es sollte zunächst eigentlich nur eine Coverband sein. Wir sind in unserer Heimatstadt in kleinen Kneipen aufgetreten und haben Songs von DEF LEPPARD, TOTO, PRETTY MAIDS oder DREAM THEATER nachgespielt. Doch mit der Zeit war uns das nicht mehr genug: Das alte Fieber kam zurück und wir haben begonnen, eigene Stücke zu schreiben. Mit unserem Demo erhielten wir dann überraschenderweise sofort einen Deal mit der hiesigen Firma BRENNUS, so daß wir einen Teil der Demosongs nochmal aufnahmen. Zusammen mit einigen neuen Nummern wurde daraus unsere Debut-EP »Signe de vie«. Danach haben wir in Eigenregie unser eigenes Studio gebaut, was etwa zwei Jahre in Anspruch genommen hat. Daher konnten wir problemlos unsere neuen Stücke aufnehmen, die wir Olivier Garnier von NTS geschickt haben, der uns sofort einen Plattenvertrag angeboten hat.
Warum habt Ihr damals bei BRENNUS unterschrieben? Alain Ricard, der Chef der Firma, hat zwar ein gutes Gespür für talentierte Bands, aber BRENNUS ist mehr oder minder auf Frankreich beschränkt, weil sie keinen Vertrieb im Ausland haben.
BRENNUS war für uns das richtige Label, um zu starten, und wir sind Alain sehr dankbar für das, was er für uns getan hat, aber für das neue Album war es wichtig, zu NTS zu wechseln. Sie haben in jeder Hinsicht bessere Möglichkeiten, sei es in Sachen Promotion, Vertrieb oder Toursupport.
Warum lagen zwischen Eurer Mini-LP und dem neuen Album »Ange ou demon« fast fünf Jahre?
Es lag vor allem am Bau des Studios. Das war natürlich eine streßige Phase, durch die wir durch mußten. Aber jetzt sind wir in der glücklichen Lage, jederzeit aufnehmen zu können, wann wir wollen.
Zum anderem hatten wir den Gitarristen gewechselt. In Frankreich ist es sehr schwer, ein professioneller Musiker zu sein: Man wird von Staat gefördert, wenn man beispielsweise im Jahr 50 Konzerte vorweisen kann. Das hatten wir mit MANIGANCE nie geschafft, aber unser ehemaliger Gitarrist Vincent Mouyen hatte schon bei seiner vorhergehenden Band JUMPER LACE versucht, diesen Status zu erreichen. Daher durchlebten wir damals eine Periode von mehreren Monaten, in denen er seinen Ausstieg erklärte, wieder zurückkam und uns wieder verließ, bis er sich endlich entschloß, es auf eigene Faust zu versuchen und wir stattdessen Bruno anheuerten.
Warum habt Ihr die neue Platte Eurem ehemaligen Gitarristen gewidmet?
Er erlitt das gleiche Schicksal wie Chuck Schuldiner: Er ist 2001 an einem Gehirntumor verstorben, was uns sehr getroffen hat, weil wir auch nach seinem Ausstieg gut miteinander befreundet waren.
»Ange ou demon« klingt deutlich runder und ausgereifter als »Signe de vie«. Liegt das darin begründet, daß Ihr erst kurz vor den Aufnahmen zu »Signe de vie« einen Keyboarder angeheuert habt, der bei »Ange ou demon« viel mehr zu den Songs beisteuern konnte?
Ich glaube, es war wichtig, daß wir uns sehr genau angeschaut haben, wie aktuelle Bands wie VANDEN PLAS oder STRATOVARIUS klingen. »Signe de vie« war für uns im Grunde nur ein Demo, aber für die Stücke von »Ange ou demon« haben wir viel intensiver an den Melodien und vor allem dem Arrangement gearbeitet. Das hat natürlich viel Zeit in Anspruch genommen, aber es hat sich gelohnt.
Wußtet Ihr, daß die italienische Band THE DOGMA das gleiche Bild mit den Schlangen für ihr Cover verwendet hat, das auch auf »Ange ou demon« zu sehen ist?
Das ist mir neu! Allerdings verbirgt sich hinter unserem Cover ein längere Geschichte: Wir hatten einen Entwurf, den ein Freund gezeichnet hat. Entsprechend dem Titel des Albums sah man darauf das Gesicht eines Engels, das gewisse dämonisch-teuflische Züge besaß; aber es sah trivial aus, so daß wir eine Grafikerin beauftragten, die Idee, die sich hinter dem Titel verbirgt, professionell umzusetzen. Ihr Resultat sieht sehr gut aus, aber es war letztendlich doch nur eine Notlösung, die unter Zeitdruck entstand. Beim nächsten Mal werden wir vorab mehr Zeit in die Covergestaltung investieren.
Spiegelt sich in den Texten die Idee von »Ange ou demon«, von gut und böse, ebenfalls wider?
Es gibt kein durchgehendes Konzept auf dem Album, sondern nur der Song ›Ange ou demon‹ handelt von diesem Zwiespalt. Nichtsdestotrotz war »Ange ou demon« ein starker Titel für das Album. Die meisten unserer Texte handeln von alltäglichen Dingen: ›Integrite‹ unterstreicht wie wichtig es ist, seinen eigenen Idealen treu zu bleiben und nicht sein Fähnchen nach dem Wind zu richten. Bei ›En Mon Nom‹ beziehen wir uns darauf, daß Politiker, als unsere gewählten Vertreter, in unserem Namen, im Namen des Volkes, Dinge tun, die wir eigentlich gar nicht wollen. Es ist also unsere eine Warnung an Politiker, daß sie sich gut überlegen sollen, wenn sie etwas in unserem Namen machen.
Ist es wichtig für Euch, politische Themen aufzugreifen?
Eigentlich nicht. Der Auslöser für uns war, daß Le Penn und seine rechtsgerichtete Front Nationale erschreckend hohe Prozentzahlen bei den Wahlen erhalten hatten und knapp an der Machtergreifung vorbeigeschlittert sind. Aber wir sind keinesfalls eine politisch orientierte Band. Es ist für uns lediglich wichtig, daß wir Texte mit einer sinnvollen Aussage haben, und keine nichtssagenden Klischeetexte verbreiten.
Wie sehen die Zukunftspläne von MANIGANCE aus?
Es werden 2003 zwei CDs erscheinen: Wir werden zunächst unsere EP »Signe de vie« im Frühjahr wiederveröffentlichen. Die CD wird die Originalaufnahmen in remasterter Qualität enthalten und als Bonus werden wir ›L'ultime seconde‹ von »Ange ou demon« in einer Akustikversion sowie eine Coverversion von TRIUMPHs ›Carry On The Flame‹ dazupacken. Die nächste Platte steht voraussichtlich für September/Oktober an.
Wie wichtig ist für Euch der französische Gesang? Könntet Ihr Euch vorstellen, daß Ihr eines Tages auf englischsprachigen Gesang umsteigt?
Im Moment fühlen wir uns mit dem französischen Gesang sehr wohl. Dennoch wollen wir nicht ausschließen, daß wir das irgendwann mal ändern werden. Ich kann lediglich mit Sicherheit sagen, daß es keine englische Version von unseren in Französisch gesungenen Songs geben wird, weil wir nicht wollen, daß die Fans beide Versionen miteinander vergleichen. Daß das Umtexten nicht richtig funktioniert, haben SORTILÈGE ja schon bewiesen. Wenn wir im Ausland wegen unseres Gesangs komplett abgelehnt werden würden, könnte ich mir vorstellen, daß wir auf Englisch umsteigen würden. Aber ich glaube nicht, daß es so weit kommen wird, denn eine Band wie TIERRA SANTA singt in Spanisch und wird dennoch akzeptiert. Ich finde das sogar sehr reizvoll, weil es sie von anderen Bands abhebt. Ich hoffe, daß wir mit unseren französischen Lyrics akzeptiert werden.
Wie steht die französische Presse zu Euch?
Unterschiedlich. Eure französischen ROCK HARD-Kollegen haben uns sehr wohlwollend besprochen. Das Magazin HARD ROCK hat uns hingegen zunächst gnadenlos verrissen. Als dann aber aus Japan, Holland und vor allem Deutschland ausschließlich überschwengliche Reviews eintrudelten, haben sie zurückgerudert und uns ermöglicht, zusammen mit den Jungs von SORTILÈGE die Titelstory für eine der nachfolgenden Ausgaben zu werden.
Viele handeln Euch als den möglichen Nachfolger von SORTILÈGE, die früher die populärste französische Metalband waren. Haben sie eine gewisse Vorbildfunktion für Euch?
Natürlich, denn wir respektieren sehr, was SORTILÈGE erreicht haben. Deswegen war es eine Ehre für uns, daß ihr Sänger Christian Augustin bei einer Show im letzten März zu uns auf die Bühne kam und den SORTILÈGE-Song ›Messager‹ mit uns gesungen hat. Ich freue mich sehr darüber, daß Christian die Band wieder zusammengetrommelt hat und daß SORTILÈGE weitermachen werden.
SORTILÈGE hatten damals den echten Durchbruch nicht geschafft. Weshalb hofft Ihr, daß es Euch besser ergehen wird?
Wir hoffen, daß es uns besser ergehen wird, weil sich die Szene seit damals sehr verändert hat. Heute gibt es viel mehr Bands und mehr Fans; außerdem hat sich auch in busineßtechnischer Hinsicht eine Menge geändert, so daß die Möglichkeiten für eine Band viel größer sind.
Außerdem sind die Fans zweifelsohne toleranter geworden. In den Achtzigern war es beispielsweise undenkbar, daß eine deutsche Band deutsche Texte hat und ernst genommen wird. Heute gibt es hingegen eine Menge Bands, die das tun.
Ich hoffe sogar, daß uns in dieser Hinsicht unser französischer Gesang hilfreich sein wird, weil es den Fans helfen wird, uns von anderen Bands zu unterscheiden. Ich weiß, daß es viele Fans gibt, die etwas Neues entdecken wollen, und die sich daher sehr für uns interessieren werden. Ich glaube, daß wir alle im Zuge der europäischen Einigung gelernt haben, aufeinander zuzugehen, aber dennoch die Individualität eines jeden zu akzeptieren.
Deine ehemaligen Kollegen von KILLERS betonen bei ihren Konzerten immer, daß sie aus dem Baskenland stammen. Ist diese Herkunft für Dich ebenfalls wichtig?
Ich lebe sehr gerne hier, denn die Landschaft ist herrlich, aber ich bin keineswegs so sehr von den politischen Ideen eingenommen. Ich bin mir der Probleme, die die Basken haben, sehr wohl bewußt, aber diese Gedanken bestimmen nicht mein Leben. Ich kann gewisse Dinge sehr gut nachvollziehen, aber ich kann keineswegs die terroristischen Aktionen gutheißen.
Da Ihr alle schon seit einigen Jahre Musik macht, seid Ihr gewiß keine Teenager mehr.
Wir sind alle zwischen 30 und 35 Jahren und gehen normalen Berufen nach. Wir würden natürlich gerne eines Tages fulltime Musik machen, aber es ist uns bewußt, daß dies sehr schwer zu verwirklichen sein wird.
Bis vor kurzem waren wir noch alle unverheiratet, aber drei von uns sind Väter: Ich habe einen sechsjährigen Sohn, unser Daniel hat zwei Mädchen und Florent hat gerade geheiratet und seine Frau erwartet demnächst eine Tochter.
Und was sagt Deine Freundin zu Deinen Rockstarambitionen?
Wir sind schon sehr lange zusammen: Ich war bei KILLERS als wir uns kennenlernten. Sie hat selbst mal in einer Band gesungen, so daß sie mich sehr gut verstehen kann und stolz darauf ist, daß wir es mit MANIGANCE geschafft haben, Platten zu machen und auf Tour gehen zu können.
Gutes Stichwort: Welche Erfahrungen habt Ihr bei Eurer ersten Tour gemacht, die Ihr im Vorprogramm von FREEDOM CALL absolviert habt?
Es war toll, denn wir hatten ein klasse Verhältnis zu FREEDOM CALL. Wir haben uns den Tourbus geteilt und sind super miteinander ausgekommen. Wir haben so manche Party steigen lassen oder zusammen Fußball gespielt. FREEDOM CALL waren sehr fair zu uns und haben uns nie spüren lassen, daß wir nur der Supportact sind. Wir hatten genügend Zeit für unseren Soundcheck und Sänger Chris Bay hat jeden Abend während ihrer Show uns für unseren Auftritt gedankt. Bei der letzten Show haben sie uns eingeladen, einen Song gemeinsam mit ihnen auf der Bühne zu spielen. Außerdem haben sie zum Tourabschluß eine typisch deutsche Party für uns geschmissen - mit deutschem Bier, deutschen Würstchen und traditioneller Musik.
Horrorvisionen von Humppamusik, weiß-blau karrierten Servietten und Weißwurscht entstehen vor unseren Augen und machen uns bewußt, daß FREEDOM CALL offensichtlich gerne einen Special Guest auf subtile Weise foltern. Daher ist es an der Zeit, die gequälten französischen Seelen zu verlassen und Euch nochmal ihr Album »Ange ou demon« ans Herz zu legen. Wer auf eigenständigen melodischen Power Metal steht, sollte sich MANIGANCE nicht entgehen lassen!
Photos: Stefan Glas