Irgendwie war es abzusehen, daß nach den eher durchwachsenen und wohl auch geschäftsmäßig eher lauen Veröffentlichungen »Q2K« und »Tribe« ein Umdenken bei QUEENSRŸCHE stattfinden wird müssen. Einzig und allein die unzähligen, in den letzten Jahren veröffentlichten Live-Alben und Compilations dürften einigermaßen gewinnbringend gewesen sein. Nach einigen umjubelten Auftritten (unter anderem auf dem "Bang Your Head!!!"-Festival in Balingen 2004) und Tourneen in den letzten Jahren, bei denen man zum Teil lediglich Songs von »Operation: Mindcrime« präsentierte, verdichteten sich bereits erste Gerüchte, wonach die Band wohl an einem direkten Nachfolger dieses, bis heute wohl besten aller QUEENSRŸCHE-Alben, arbeiten würde.
Da sich die Gerüchte immer mehr verdichteten und schließlich auch aus dem Lager der Band bestätigt wurden, hat das Warten nun endlich ein Ende: Am 31. März erscheint »Operation: Mindcrime II« definitiv und läßt die Helden Dr. X, Nikki und Sister Mary abermals antreten.
Im Vorfeld war Geoff Tate anläßlich einer Promo-Reise in Germany und war zum üblichen Frage und Antwort-Spielchen bereit:
Interessant war für mich im Vorfeld vor allem der Zeitpunkt des Erscheinens. Ich persönlich hatte den Eindruck, daß ihr nach den Auftritten zunächst einmal ein wenig in Warteposition gewesen seid, um abzusehen, ob es denn tatsächlich Sinn machen würde mit »Operation: Mindcrime II« loszulegen. Wie kommentiert denn die Band den Zeitpunkt des Erscheinens?
Nein, Kalkül in dieser Richtung war keinesfalls im Spiel. Im Laufe der letzten sechs Jahre, denn so lange arbeitete ich bereits an der Fortsetzung der Geschichte, hat es aber immer wieder verschiedene Verzögerungen gegeben. Deshalb hat es auch einen dermaßen langen Zeitraum eingenommen, bis die Scheibe vollendet war. Aber das Warten hat ein Ende und »Operation: Mindcrime II« kann nun endlich veröffentlicht werden.
Eventuelle, negative Fanreaktionen auf Eure letzten Studioalben waren nicht daran schuld, daß wir demnächst über »Operation: Mindcrime II« jubeln dürfen?
Nein, die Entscheidung kam definitiv nur von der Band selbst. Es ist aber durchaus richtig, daß auch heute noch Fans bei unseren Auftritten nach Songs des ersten Teils verlangen. Das war zwar auch schon immer so, hat schlußendlich aber nicht den Ausschlag für die Fertigstellung des zweiten Teils der Geschichte gegeben. Es war aber mit Sicherheit ein gewisser Motivationsschub für mich, die Story fortzuführen. Vielleicht hätte es ansonsten noch einige Jahre länger gedauert. Wie schon gesagt, begann ich bereits vor sechs Jahren, mir ernsthaft darüber Gedanken zu machen, ob es nicht Sinn machen würde, Dr. X und Nikki abermals auftreten zu lassen.
Wäre es nicht auch an der Zeit gewesen, Chris DeGarmo zu reaktivieren, um an der Entstehung des zweiten Teiles mitzuwirken? Schließlich hat er sehr viel zum ersten Teil beigetragen.
Chris hat seit einigen Jahren keinerlei Interesse mehr an QUEENSRŸCHE gezeigt. Da wir uns aber in einem unaufhaltsamen Entwicklungsprozeß befinden, hätte es auch gar nicht gepaßt, ihn neuerlich in die Band zu holen. Sein Ersatzmann heißt Mike Stone und ist uns über einen gemeinsamen Bekannten vorgestellt worden. Mike stammt aus Kalifornien und ist knapp zehn Jahre jünger als wir. Dadurch kommen natürlich ganz andere Einflüsse in unser Klangbild, aber im Endeffekt haben wir Mike deshalb bei uns, weil sonst kein Gitarrist besser zu QUEENSRŸCHE passen würde.
Mike werden wir wohl auch auf den anstehenden Live-Aktivitäten zu sehen bekommen, oder doch nicht?
Aber sicher doch. Er ist ein vollwertiges Mitglied von QUEENSRŸCHE geworden und es besteht kein Grund, ihn nicht als solches zu akzeptieren. Zunächst werden wir wohl im Frühjahr 2006 in den Staaten loslegen. Ich kann noch nicht sagen, wann wir nach Europa kommen werden, aber ich schätze einmal, daß es im Sommer so weit sein wird, zumal wir bereits einige Angebote für Sommer-Festivals bei euch bekommen haben, die wir eben sondieren. Festivals in Europa hatten schon immer einen ganz besonderen Charakter und deshalb wäre es phantastisch, wieder bei einem solchen gastieren zu können.
Wird es zu einer "Operation: Mindcrime"-Tournee kommen, oder werdet Ihr die neuen Songs "nur" in die Setlist integrieren?
Das steht auch noch nicht fest. Aber eigentlich haben wir schon vor, eine spezielle "Mindcrime"-Tour zu veranstalten. Im Moment bin ich gerade dabei, alle notwendigen Vorkehrungen diesbezüglich zu treffen. Sollte es möglich sein, wird man mit einem Abend, der eher einer Theatervorstellung gleicht, als einem "normalen" Konzert, rechnen dürfen. Wir würden einen satten Bühnenaufbau mitbringen, eine Auswahl an Songs beider Teile von "Mindcrime" spielen und die verschiedenen Charaktere von unterschiedlichen Musikern singen lassen.
Das heißt, man darf zumindest mit Pamela Moore rechnen, die ja bereits 2004 mit Euch auf Tournee war?
Auf jeden Fall. Wenn wir ein solches Vorhaben organisieren, sollte nichts dem Zufall überlassen werden und Sister Mary, also Pamela, ist auf jeden Fall eine der wichtigsten Figuren der Geschichte.
Wie geht denn die Geschichte der Hauptcharaktere eigentlich weiter? Der erste Teil blieb ja bekanntlich offen, sprich das Ende war nicht wirklich vorgegeben.
Die Story beginnt genau da, wo der erste Teil aufhörte. Nikki hat seine Haftstrafe abgebüßt und den Mord an Sister Mary aufdeckt. In all den Jahren im Knast hatte er sehr viel Zeit, um nachzudenken. In erster Linie mußte er aber einmal herausfinden, was aus ihm selbst geworden war, schließlich war ihm die von Dr. X verpaßte Gehirnwäsche ja gar nicht bewußt. Ich habe versucht, mich in seine Situation zu versetzen und daran gearbeitet herauszukriegen, wie sich eine Person wie Nikki fühlen würde. Das war wahrlich nicht einfach. Der Grundgedanke der Geschichte ist jener, daß ich herausbekommen wollte, wie sich der Wunsch nach Vergeltung auf den Menschen auswirken würde. Nikki muß von seien Gefühlen diesbezüglich wahrlich aufgerieben worden sein. Vor allem sein Gewissen, das den Geist von Sister Mary verkörpert, rät ihm immer wieder davon ab, pure Vergeltungsschläge durchzuführen. Im Laufe der Zeit konnte ich sogar Parallelen zur Realität ausmachen. Es ist schon eigenartig, daß zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vom ersten Teil ein gewisser George Bush Amerika regierte und nun abermals ein Herr dieses Namens im Amt ist. Die Gesellschaft an sich ist mittlerweile in einem noch mieseren Zustand als sie es damals ohnehin schon war und Gehirnwäschen durch die Medien sind fast schon an der Tagesordnung. Der zweite Teil spinnt also die Geschichte, deren Ende im ersten Teil ja bewußt nicht abgeschlossen war, weiter und auch diesmal ist der Schluß der freien Interpretation jedes einzelnen Hörers überlassen. Ich sehe es fast schon als Pflicht eines Künstlers an, die Menschen mit seinem Werk einigermaßen zum Denken zu animieren. Die Kunst sollte so etwas wie die Seele der Gesellschaft werden.
Für kurze Zeit meinte ich, meinen persönlichen Dr. X sprechen zu hören, aber zum Glück konnte ich mich und Geoff wieder ein wenig in die Realität zurückholen, indem ich ihn zum Thema Produktion und weitere Mithelfer befragte.
Es mag ungewöhnlich klingen, daß QUEENSRŸCHE mit einem Produzenten wie Jason Slater zusammenarbeiten, da er bislang noch nicht wirklich Metal-Bands, die der alten Schule entstammen, produziert hat, aber er ist technisch über jeden Zweifel erhaben und wahrscheinlich war es genau jener Fakt, der mir persönlich am meisten imponierte. Egal, wie viel Erfahrung ein Mann seiner Klasse mit Metal-Bands hat, wichtig ist in erster Linie doch, daß er für eine technisch ungemein aufwendige Produktion wie unser Album das nötige Rüstzeug und die technischen Fähigkeiten hat. Obendrein hat sich Jason im Laufe der Arbeit als wahrer Freund und Kumpel entpuppt, weshalb es auch nicht mühsam, sondern eher unterhaltsam war, mit ihm zu produzieren.
Neben der Band an sich und Pamela Moore, die ja bereits am ersten Teil mitgewirkt hat, freuen wir uns als Dr. X niemand Geringeren als Ronnie James Dio präsentieren zu können. Zuvor dachte ich zwar auch daran, Rob Halford jene Rolle singen zu lassen, doch aus termintechnischen Gründen war es unmöglich, mit Rob zu arbeiten. Ronnie und ich kennen einander schon sehr lange und es ist mir eine Ehre, auf »Operation: Mindcrime II« einen der besten und bekanntesten Sänger des Heavy Metals überhaupt mit dabei zu haben.
Darauf freuen wir uns in der Tat. Ebenso würden sich zahlreiche Metaller aber auch über das schon von mehreren Seiten kolportierte Projekt TRINITY freuen.
Du meinst die Kollaboration von Rob Halford, Bruce Dickinson und mir? Oh, dieses Projekt liegt nun schon seit längerer Zeit auf Eis. Da alle drei der beteiligten Musiker mehr als nur ausgelastet sind, um mit ihren Bands aktiv zu sein, haben sich sämtliche Pläne vorerst in Luft aufgelöst. Das heißt aber nicht, daß nicht eines Tages doch eine Zusammenarbeit dieser Herrschaften möglich wäre. Ein solches Projekt, in welcher Form auch immer, wäre schon sehr reizvoll.
Zunächst aber lassen wir Geoff und seine Mannschaft erst einmal in aller Ruhe den sich anbahnenden Erfolg von »Operation: Mindcrime II« auskosten. Man braucht wohl kein Prophet zu sein, um vorauszusagen, daß die Scheibe diejenige mit den besten Verkaufszahlen seit langer Zeit von QUEENSRŸCHE werden wird. Das getraue ich mich schon einmal zu sagen, ohne das Album bisher gehört zu haben. Warten wir also bis zum 31. März, um uns dann der Scheibe mit voller Hingabe widmen zu können.
Photos: Stefan Glas [Photo 4]