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  UE-Home → History → Online Empire 7 → Interview-Übersicht → Mem von Stein-Interview last update: 27.03.2024, 15:23:21  

Mem von Stein-Design

Er beginnt den Tag mit Dehnungsübungen. Keine verkappten Luft­gi­tar­ren­übungen. Er ernährt sich vegetarisch und hat mit Drogen nichts mehr am Hut. Die Metamorphose eines Rockstars.

Die Metamorphose des Mem von Stein, der für uns seine Karriere revuepassieren ließ und über sein Leben nach der Musik erzählte.

Mem von Stein-Photo 1

Ich habe EXUMER 1985 in Frankfurt zusammen mit Raimund (g, der sich bei EXUMER den Künstlernamen "Ray Mensch" gegeben hatte - Red.) gegründet. Wir haben verschiedene Besetzungen ausprobiert, bis wir das Line-up fanden, das die erste Platte »Possessed By Fire« einspielte. Auf dem EXUMER-Debut, das wir in Berlin aufnahmen und Ende 1986 erschien, habe ich gesungen und Baß gespielt. Zuvor hatten wir das »A Mortal In Black«-Demo aufgenommen, das Ende 1985 veröffentlicht wurde und uns relativ schnell einen Plattenvertrag einbrachte.

Es gab damals ein Problem in Zusammenhang mit dem EXUMER-Demo: Ich war nämlich nicht der Einzige, der ein Demo bestellt hatte, ohne es jemals zu erhalten.

Die ganze Sache verhielt sich folgendermaßen: Ein Kollege von mir, Ralf Ludwig, fragte bei uns an, ob er EXUMER managen und das Demo vertreiben könne. Er machte damals schon den CELTIC FROST-Fanclub "Necromantic Union", so daß wir zusagten. Wir hatten also mit dem Versand der Demos nichts zu tun, da Ralf in Norddeutschland, etwa 800 Kilometer von uns entfernt wohnte. Irgendwann erhielten wir jedoch Beschwerden von Fans, daß sie ihm Geld geschickt hätten, aber das Demo nicht bekommen hätten. Uns ging es allerdings nicht besser: Wir haben von den verkauften Demos nie einen Pfennig gesehen.

Den Deal unterzeichnetet Ihr bei A.M.-MUSIC, einer relativ kleinen Firma, das damals in der Szene keinen "lupenreinen" Ruf genoß.

Für uns waren A.M.-MUSIC allerdings recht gut, da sie neben uns mit ANGEL DUST nur einen weiteren Thrash Metal-Act unter Vertrag hatten. Daher hatten wir genügend Aufmerksamkeit seitens der Firma: Wir wollten beispielsweise mit Harris Johns aufnehmen, was sie uns ohne Widerrede genehmigten. Auch die von uns gewünschte Aufnahmezeit von zwei Wochen haben uns A.M.-MUSIC zugestanden. Daher war die Firma für uns im Endeffekt okay, obwohl sie nicht die Möglichkeiten hatte wie eine größere Firma.

»Possessed By Fire« war Deine einzige Platte mit EXUMER. Warum bist Du ausgestiegen?

Wir waren damals 18 oder 19 Jahre alt - jung und hitzköpfig. Wir hatten nur Party im Kopf - Alkohol, Drogen und so weiter - Teenager-Kram eben. Ich muß zugeben, daß ich die Band damals nicht so wichtig nahm. Irgendwann haben wir uns miteinander überworfen und ich bin beleidigt ausgestiegen. Daraufhin zog ich 1987 nach Amerika.

Was hat Dich in die USA verschlagen?

Ein Teil meiner Familie lebt in Amerika. Außerdem hatte ich zwei sehr gute Freunde in New York, die beide Musiker waren und ich wollte einfach mal dort Musik machen. Doch unser Thrash-Projekt DIABOLOS überlebte nicht lange, da uns das Geld fehlte. Wir machten fulltime Musik, was wir finanziell nicht lange duchhalten konnten, so daß wir nicht mal Aufnahmen machen konnten. Daher zog ich 1988 wieder zurück nach Deutschland, so daß diese Episode in Amerika knapp eineinhalb Jahre dauerte.

Zurück im Hessenlande hast Du Deine nächste Band gegründet.

Richtig: PHOBIC INSTINCT. Die Musik war sehr hardcore-lastig mit harten Hip-Hop-Einflüssen. Wir haben eine Platte für Charly Rinne und seine Firma NO REMORSE RECORDS aufgenommen, die allerdings nie erschien, da die Company pleite ging. Zudem gab es keine Möglichkeit, die fertigen Bänder an eine andere Firma zu verdealen, da die Kosten für den Studioaufenthalt noch nicht bezahlt waren. Daher verblieben die Masterbänder im "Vielklang Studio" in Berlin. Das bedeutete zugleich das Ende von PHOBIC INSTINCT. Anschließend rief ich Mitte 1990 OF RYTES ins Leben, bei denen ich nur noch gesungen hatte. Den Baß habe ich während der PHOBIC INSTINCT-Phase an den Nagel gehängt. Mit OF RYTES haben wir unsere Platte selbstproduziert und »Without...« erschien im Frühjahr 1991. Stilistisch hatten wir uns mit OF RYTES progressivem Hardcore verschrieben.

Doch OF RYTES sollte nur bis 1991/'92 existieren. Stattdessen stand 1993 eine Fast-EXUMER-Reunion unter dem Namen HUMUNGOUS FUNGUS an.

Bei HUMUNGOUS FUNGUS waren Raimund und Bernie vom »Possessed By Fire«-Line-up aktiv. Es fehlte nur der ehemalige Schlagzeuger Syke Bornetto (Syke formierte später Q-SQUAD, bei denen er als Sänger agierte. Aus Q-SQUAD entwickelte sich schließlich ZE:US, über die wir in dieser Ausgabe ebenfalls berichten. Allerdings ist Syke bei dieser Combo nicht mehr involviert. - Red.) Da bei HUMUNGOUS FUNGUS in Brandon ein schwarzer Rapper involviert war unsere Musik zweifelsohne Crossover, der allerdings sehr hardcore-lastig war. Von HUMUNGOUS FUNGUS erschienen zwei Platten und die dritte Platte hatten wir ebenfalls schon aufgenommen, die jedoch nicht erschien, da die Band im Laufe des Jahres 1998 langsam auseinanderfiel und ich schließlich wieder nach Amerika ging. Seither lebe ich in New York und hatte mit Musik nichts mehr am Hut.
Erst als ich letzten Sommer Urlaub in Deutschland machte, traf ich die beiden ehemaligen EXUMER-Gitarristen wieder, die mittlerweile eine Rockband namens SEPTEMBER haben. Wir haben gemeinsam ein paar alte EXUMER-Sachen gespielt und einige neue Stücke im traditionellen EXUMER-Stil ausprobiert.

Steht uns folglich eine EXUMER-Reunion bevor?

Ich hätte auf jeden Fall Bock drauf, aber ich lebe nun mal in New York und komme nur in den Semesterferien rüber, um meine Eltern zu besuchen. Daher werden wir in diesem Jahr in Wacken als einmalige Aktion eine Reunion-Show spielen.
Ich habe jedoch mittlerweile in New York eine neue Band, die sich SHALLOW nennt. Wir sind derzeit ein Threepiece, sind stilistisch im Thrashbereich angesiedelt und ich spiele Baß und singe.

Mem von Stein-Photo 2

Du hast mit Speed Metal begonnen, bist dann immer mehr zum Hardcore übergegangen und hast schließlich sogar mit Hip-Hop und Rap experimentiert. War und ist Mem von Stein trendy?

Für mich ist Musik etwas, das sich ständig verändert - genauso wie ich mich als Mensch verändert habe. Ich war immer ehrlich zu mir selbst und meine Musik hat das reflektiert, was ich selbst gerne gehört habe. Seit eineinhalb Jahren höre ich fast nur noch Achtziger Jahre-Metal: Ich stehe wieder auf die Gruppen, die ich damals schon gut fand, wie SLAYER oder EXODUS.

Zu welchen Platten, die Du in Deiner Karriere gemacht hast, stehst Du heute noch uneingeschränkt?

Drei meiner Platten gefallen mir auch heute noch sehr, sehr gut: »Possessed By Fire« von EXUMER, die unveröffentlichte PHOBIC INSTINCT-Platte und die zweite HOMUNGUS FUNGUS-Scheibe, die einfach superkrass war.

Was studierst Du in New York?

Das Fach nennt sich "Forensic Psychology". Man widmet sich während des Studiums pathologischen psychischen Phänomenen und arbeitet nach der Ausbildung mit der Polizei zusammen: Man erstellt beispielsweise Verhaltensprofile von Verbrechern. Ich denke, daß dies ein interessantes Tätigkeitsfeld ist, weil mich die Zusammenhänge interessieren, warum Menschen bestimmte Dinge tun.

Mem von Stein ist sicherlich nicht Dein Geburtsname.

Nein, den habe ich etwa 1984 von einem Freund bekommen. Ich hatte früher sehr lange Haare und er begrüßte mich auf Parties immer mit dem Satz: "Ah, da kommt Fürst von Stein!" Keine Ahnung, wie er auf diese Idee kam... Mem ist die Kurzform meines eigentlichen Vornamens Mehmet. Mein Freund bedrängte mich ständig, ich solle mich Mem von Stein nennen. Anfangs war das eher ein Gag, aber es hat sich so eingebürgert.

In welchem Alter bist Du nach Deutschland gekommen?

Ich bin in der Türkei geboren, bin aber in einem kulturellen Dreieck aufgewachsen: Ein großer Teil meiner Familie lebt in Amerika, der Rest in der Türkei und in Deutschland. Daher wurde ich dreisprachig erzogen: Mein Vater und meine Mutter haben Türkisch mit mir gesprochen, ich habe Deutsch gelernt, da ich in Deutschland aufgewachsen bin und der Rest der Familie hat für meine Englischkenntnisse gesorgt. Ich bin stets zwischen den drei Kulturen hin- und hergewandert, so daß ich mich weder in Amerika noch in Deutschland fremd fühle. Ein wenig komisch ist es lediglich in der Türkei, da ich dort noch nie gelebt habe: Mein Eltern zogen nach Wiesbaden als ich zwei Jahre alt war. Zunächst wollten sie nur zwei Jahre bleiben, aber mittlerweile sind mehr als 30 draus geworden.

Du hast ganz freimütig darüber gesprochen, daß zu EXUMER-Zeiten Alkohol und Drogen für Dich an der Tagesordnung waren. Nicht nur diesbezüglich hat sich eine Menge in Deinem Leben geändert.

In meinen wilden Teenagerjahren habe ich mir eine Menge reingezogen, aber mit 21 Jahren habe ich mit allem Schluß gemacht: Zigaretten, Alkohol, Drogen. Zudem wurde ich strikter Vegetarier. Es gab keinen konkreten Anlaß, sondern ich wollte einfach einen Schlußstrich ziehen, um einen anderen Blick für die Welt zu bekommen. Ich war daraufhin mehrere Jahre straight edge. Mittlerweile sehe ich alles etwas lockerer und esse beispielsweise wieder Fisch oder trinke ab und zu ein Glas Wein.

Die Ernährungsgewohnheiten von Türken, Deutschen und Amerikanern liegen meilenweit auseinander. Wie kannst Du da Deine eigene Linie durchziehen?

Amerikanisches Essen und Fast Food meide ich völlig. In Amerika esse ich sehr viel asiatisches Essen, was wahrscheinlich auch damit zusammenhängt, daß meine Freundin Chinesin ist. Wenn ich bei meinen Eltern in Deutschland zu Besuch bin kann ich mich glücklich schätzen, daß meine Mutter die vegetarische türkische Küche bevorzugt.
Aber das beschränkt sich nicht nur aufs Essen, sondern ich versuche, in jeder Hinsicht gesund zu leben: Ich habe 15 Jahre lang Musik gemacht, so daß es ein krasser Einschnitt war, einfach damit aufzuhören. Daher mache ich seit zweieinhalb Jahren chinesisches Kung-Fu als Ausgleich. Außerdem habe ich mich mehr und mehr für spirituelle Dinge interessiert, da ich gemerkt habe, daß ich mit fortschreitendem Alter andere Ansprüche an mein Leben stelle. Daher habe ich mich intensiv mit fernöstlicher Philosophie beschäftigt, die mittlerweile mein Denken stark prägt.

Welche anderen Interessen hast Du? Die Möglichkeiten sollten in New York nahezu grenzenlos sein.

Das Faszinierendste an New York ist die Tatsache, daß dort auf relativ kleinem Raum Menschen von allen Ländern der Welt zusammenleben. Es hat sicherlich einige Zeit gedauert, bis ich mich mit New York arrangieren konnte, aber das ist wohl immer so, wenn man an einen neuen Ort zieht.
Ansonsten gehe ich gerne ins Kino - vor allem in Independentfilme - oder in Museen jeglicher Art. In New York hat man diesbezüglich den Vorteil, daß es viele Museen gibt, bei denen der Eintritt frei ist. Ich versuche also nach wie vor, mich mit dem künstlerischen Bereich auseinanderzusetzen, auch wenn ich zur Zeit nicht selbst aktiv bin. Die Kunst wird immer ein fester Bestandteil meines Lebens sein.

Vorbereitung, Interview & Bearbeitung:
Stefan Glas

Photo: Buffo Schnädelbach [Photo 2]

P.S.: Herzlichen Dank an unseren ROCK HARD-Kollegen Buffo, der uns das aktuelle Photo von Mem zur Verfügung gestellt hat!

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