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2011 war ein Jahr massiver Veränderungen in der arabischen Welt, wo die von Unterdrückung gebeutelten Menschen mehr Freiheit entgegenstreben. Auch in metallischer Hinsicht haben diese Länder immer mehr zu bieten, wobei eine Band gerade dabei ist, sich vom Geheimtip zum angesagten Act zu entwickeln: MYRATH!
Da die Truppe in »Tales Of The Sand« ein tolles Werk vollendet hat, auf dem man progressiven Metal mit Elementen einheimischer Musik kombiniert, war es an der Zeit, diesem Phänomen aus Tunesien etwas nachzugehen.

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Die Band hieß zunächst XTAZY. Warum hattet Ihr seinerzeit diesen Namen gewählt und warum seid Ihr seiner überdrüssig geworden?

Malek Ben Arbia: Als wir die Band 2001 gründeten, hatte der Name XTAZY einen Bezug zu der Freude und den Spaß, den Menschen verspüren, wenn sie Musik hören. Wir waren damals noch Teenager - zwischen 13 und 15 Jahren, um genau zu sein - und als wir älter wurden, fanden wir heraus, daß es eine Droge namens Ecstasy gibt, was uns offenkundig nicht gefallen hat. Wir wollten natürlich nicht, daß die Leute uns mit einer illegalen Substanz in Verbindung bringen, so daß der Namenswechsel unumgänglich war.

Warum habt Ihr Euch dann für MYRATH entschieden, was das arabische Wort für "legacy" ist?

Elyes Bouchoucha: Die Umbenennung fand 2006 statt. Wir wählten diesen Namen, um auf unsere Herkunft hinzuweisen und uns von anderen Bands abzugrenzen. Da uns allen das Wort "legacy" gefiel, nahmen wir einfach das entsprechende arabische Wort. Zudem entschieden wir uns für diesen Namen als einen Tribut an die musikalische Hinterlassenschaft unserer Vorfahren. Letzten Endes lernt jeder Musiker zunächst mal von anderen Musikern, und dann beginnt er, seine eigene Musik zu schaffen.

Welche Bedeutung kommt dem Symbol zu, das man hinter Eurem Logo erspähen kann?

Anis Jouini: Dabei handelt es sich ganz einfach um ein Symbol für den Buchstaben M - für MYRATH.

Euer selbstproduziertes Album »Double Face« vom März 2005 und der Nachfolger »Hope«, im September 2007 via BRENNUS MUSIC erschienen, erhielten keinen so großen Verbreitungsgrad wie Euer 2010er Album »Desert Call« und nun der Nachfolger »Tales Of The Sands«. Wie würdet Ihr die Alben vergleichen und Eure musikalische Entwicklung beschreiben?

Malek Ben Arbia: Als wir »Double Face« eigenverantwortlich produzierten, waren wir noch Teenager im Alter zwischen 17 und 19 Jahren. Es waren unsere ersten Kompositionen und die ersten Erfahrungen, die wir im Studio sammelten. Zudem war der Einfluß von SYMPHONY X omnipräsent, was aber wohl normal sein dürfte für eine Band, die als SYMPHONY X-Coverband begonnen hatte und die ersten beiden Jahre ihrer Existenz nicht anderes gemacht hatte, als deren Stücke zu spielen.
Unser Erstlingswerk »Hope« ist sehr technisch und progressiv, hat einen neoklassischen Einschlag, aber zugleich hatten wir damals schon begonnen, tunesische Melodien, Tonleitern oder Harmonien zu verwenden.
Bei »Desert Call« legten wir mehr Schwerpunkt auf die Verknüpfung von progressivem Power Metal und traditioneller tunesischer Musik, um einen eigenen Stil zu entwickeln und die Schützenhilfe von unseren Lieblingsbands zu reduzieren.
»Tales Of The Sands« reflektiert die Erfahrungen und die Reife, die wir über die Jahre erlangt haben. Dies ist nun jene Art von Prog-Power-Oriental-Metal, den wir von Anfang an entwickeln wollten, und der hoffentlich das Markenzeichen von MYRATH wird.

Wie seid Ihr auf die Idee gekommen, Progressive Metal mit mittelöstlichen Einflüssen zu verbinden?

Zaher Zorgati: Wenn wir komponieren, gehen wir es so ungezwungen wie möglich an und lassen uns von unserer Inspiration leiten, so daß jeder Song von Herzen kommt. Wir versuchen niemals, krampfhaft und stereotyp Musik zu fabrizieren, was wohl der Grund dafür ist, daß unsere Songs auch innerhalb eines Album so verschieden sind.
Die Idee, tunesische Elemente in die Musik einzubauen, ist ein Teil dieses natürlichen Kompositionsprozesses, der über die Jahre gereift ist, wie Malek zuvor schon ausgeführt hat.

Inwiefern waren die Besetzungswechsel, die dazu geführt haben, daß Malek heute das letzte Gründungsmitglied ist, für diese Entwicklung nötig?

Elyes Bouchoucha: Zwischen 2001 und 2004 bestand die Band einfach nur aus guten Freunden, die aus Spaß an der Freude Songs gecovert haben. Als Malek sich dann entschied, ernsthaft Musik zu machen, konnten drei der anderen Mitglieder einfach nicht mithalten, was die harte Arbeit angeht, die nötig war, so daß sie im Zeitraum von etwa einem Jahr einer nach dem anderen ersetzt wurden.
Seit sich Zaher uns 2007 angeschlossen hat, war das Line-up unverändert, allerdings mußten wir neulich Piwee Desfray als Ersatz für unseren ehemaligen Drummer Seif Louhibi anheuern.
Ich denke, es ist ein ganz normaler Prozeß, den eine Teenage-Coverband auf ihrem Weg zu einer professionellen Karriere in der internationalen Metalszene durchlaufen hat.

Warum habt Ihr Euch bei Eurer letzten Besetzungsänderung für einen französischen Musiker und nicht für einen aus Eurer Heimat entschieden? Zudem spielt Piwee auch bei HEAVENLY, die zwar nicht mehr hyperaktiv sind, aber sind da nicht schon irgendwelche Zeitprobleme vorprogrammiert?

Anis Jouini: Wir entschieden uns für Piwee nachdem wir etliche Drummer ausprobiert hatten, die großteils aus Frankreich und Belgien stammten. Über einen tunesischen Schlagzeuger dachten wir nicht ernsthaft nach, weil uns niemand einfiel, der unseren Ansprüchen genügte. Es gibt in Tunesien nämlich nicht viele herausragende Drummer.
Zudem war es recht einfach, einen Drummer aus Europa auszuwählen, denn es ist unser Ziel, eine internationale Karriere anzusteuern und vornehmlich in Europa und anderen westlichen Ländern zu spielen, wo die Metalszene besser entwickelt ist als in Tunesien und anderen arabischen Ländern.

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Die meisten von Euch sind studierte Musiker; Malek studierte beispielsweise an der "Music Academy International" in Nancy. Wie wichtig ist diese Ausbildung für Euch. Könnte man sagen, daß der progressive Teil Eurer Musik eher vom Studium kommt, während die orientalischen Elemente eher von Intuition, Feeling herrühren?

Malek Ben Arbia: Eine musikalische Ausbildung ist sehr wichtig, denn man muß einfach die Grundlagen der Musiktheorie kennen, um sich in kompositorischer als auch spielerischer Hinsicht verbessern zu können. Aber unsere Musik kommt generell vom Herzen; es ist eine Kombination aus Erlerntem, dem Einfluß der westlichen Musik, mit der wir aufgewachsen sind, und dem orientalischen Einfluß, der auf unsere Herkunft zurückzuführen ist.

In optischer Hinsicht sowie mit den letzten beiden Albumtiteln deutet Ihr ganz klar auf Eure tunesische Abstammung hin. Ich glaube gerade, daß das neue Cover, auf dem eine verschleierte Dame auf einem Kamel steht, neben dem ein Pfad aus Teppichen durch die Wüste führt, ganz besonders diesem Zweck dient. Was wollt Ihr mit diesem Cover ausdrücken?

Zaher Zorgati: Wir sind sehr stolz auf das Artwork, das von einem Landsmann gemacht wurde: Es stammt von dem talentierten Künstler Bader Klidi, der gerade seinen Abschluß an der tunesischen Kunstuniversität gemacht hat. Mehr Infos über ihn findet Ihr auf seiner Facebook-Seite.
Wir können uns nicht entsinnen, daß ein Artwork mal so viel Lob erhalten hat. Generell möchten wir gern, daß jeder Betrachter seine eigene Bewertung findet, aber die grundlegende Idee hinter der Dame, die auf dem Kamel steht, ist die Mixtur zweier Kulturen, die sich auch in unserer Musik vermischen: Die Dame repräsentiert den Westen, die moderne Welt, während das Kamel für die traditionelle arabische Kultur steht.

Inwieweit spiegelt sich dies auch in Euren Texten wider?

Elyes Bouchoucha: Unsere Songs drehen sich um aktuelle Themen wie Liebe, Haß, Betrug, Hoffnung, Leid, Krieg, etc. Einige Verse sind auf Arabisch verfaßt, um an unsere Herkunft zu erinnern.
Um dies etwas zu präzisieren, kann ich Dir ein paar Beispiele anreißen: ›Time To Grow‹ wurde durch den schnellen Wachstum unserer Band in den letzten Jahren inspiriert. ›Braving The Seas‹ basiert auf der Geschichte von Tunesien. Viele Menschen scheinen zu vergessen, daß im Laufe der Jahrhunderte in unserem Land mehrere Zivilisationen bis zurück zum Römischen Imperium gekommen und gegangen sind. Daher fanden viele Piratengeschichten und die zugehörigen Seeschlachten an der tunesischen Gestaden und in unserem Teil des Mittelmeeres statt. ›Apostrophe For A Legend‹, das als Bonustrack auf der Pressung des amerikanischen Labels NIGHTMARE RECORDS dient, ist Ronnie James Dio gewidmet: Wir schrieben den Song in der Nacht, als wir die furchtbare Nachricht von seinem Tod vernahmen. Da es ein Tribut an ihn sein soll, ist es ein typischer 80er Heavy Metal-Song.

Was gibt es zum Video für den Song ›Merciless Times‹ zu sagen? Dank der altbekannten Probleme zwischen YouTube und der GEMA können wir das gute Stück hierzulande nicht genießen.

Anis Jouini: Der Song handelt von einem Mann, der mit seiner Vergangenheit kämpft. Im Video gibt es verschiedene Referenzen gen Tunesien wie die Wüste, die Dame oder Zaher, der angezogen ist wie der Prinz von Persien.
Ich möchte noch hinzufügen, daß der Clip in der tunesischen Stadt Sousse im September 2011 mit den Mitteln, die uns zur Verfügung standen, gedreht wurde. Unser Sänger Zaher schrieb das Drehbuch zusammen mit einem jungen Produzenten, der zugleich einer seiner besten Freunde ist. Wir benutzten unsere eigenen Kameras, so daß wir viele Einstellungen mehrfach drehen mußte, um sie aus verschiedenen Winkeln festhalten zu können. Leider hatten wir nämlich nur zwei Kameras zur Verfügung. Nachdem die Dreharbeiten beendet waren, war unser Gitarrist Malek für den Schnitt und die Effekte zuständig.

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In der Mitte des CD-Booklets befindet sich ein Photo, auf dem Zaher eine Flagge mit dem MYRATH-Symbol schwenkt. Es gab aber auch eine Vorgängerversion, die man beispielsweise auf Eurer MySpace-Seite sieht, wo stattdessen die tunesische Flagge zu sehen war, vor der Euer Ex-Drummer Seif in Militärklamotten gekleidet salutiert. Jetzt habt Ihr Piwee an seiner Stelle reinretouchiert und die Flagge geändert. Was waren die Gründe für die erste Version der Bildes - vor allem vor dem Hintergrund der politischen Vorgänge in Eurer Heimat - und warum habt Ihr es geändert?

Zaher Zorgati: Nun, die Photos waren direkt nach dem Aufstand am 14. Januar 2011 geschossen, und wir wollten damit der tunesischen Revolution Tribut zollen. Zu diesem Zeitpunkt war Seif noch unser Drummer. Als er die Band verlassen hatte, konnten wir es uns leider nicht leisten, Piwee hier runterzufliegen, um das Photo nochmal aufzunehmen, so daß nur die Option bestand, ihn in das Photo reinzuretouchieren.
Das Photo ist sehr wichtig im Hinblick auf die Symbolik für den Geist der Veränderung, den wir in die Metalszene bringen wollen, ähnlich wie die tunesische Revolution einen wichtigen Zündfunken für den Arabischen Frühling darstellte; daher legten wir das MYRATH-Symbol über die tunesische Flagge.

Natürlich kommen wir auch an einigen politischen Fragen nicht vorbei: Es gab riesige Veränderungen in Eurem Heimatland, seit sich im Dezember 2010 Mohamed Bouazizi selbst in Brand steckte und damit das auslöste, was mittlerweile den Namen Jasminrevolution erhalten hat. Wie habt Ihr die Revolution in Tunesien miterlebt? Habt Ihr an den Demonstrationen teilgenommen?

Malek Ben Arbia: Wie jeder andere Tunesier unseres Alters nahmen wir alle an der denkwürdigen Demonstration vom 14. Januar 2011, die zum Sturz der Diktatur führte und den arabischen Frühling beflügelte, teil.
Wir haben auch einige schlaflose Nächte verbracht, um unsere Nachbarschaft während der Periode von Unsicherheit, Machtvakuum und Ungewißheit, die dem Sturz des Regimes folgte, zu beschützen. Das Geräusch von Kugeln, die während der letzten Wochen die Stille der Nacht zerrissen, wirkten sehr unwirklich in einem friedlichen Land wie Tunesien.
Glücklicherweise dauerte diese Gewaltphase nicht allzu lang, da der Wille des Volkes überwältigend war, so daß das Militär des alten Regimes schnell besiegt war und die Ordnung wiederhergestellt werden konnte.

Was erhofft Ihr Euch nach der Revolution - für Euer Land, für Euch persönlich und für Euch als Musiker?

Anis Jouini: Für mein Land wünsche ich mir Demokratie, Freiheit und Achtung der Menschenrechte, wie es in den westlichen Ländern der Fall ist. Für mich und meine Band erhoffe ich mir die Freiheit, Texte für unsere Musik schreiben zu können, ohne dabei Einschüchterung oder Zensur befürchten zu müssen. Allerdings beabsichtigen wir weiterhin, eine Metalband ohne politische Message zu bleiben. Ich hoffe, daß die neue Regierung alle Musiker gleich behandeln wird und Metalbands genauso fördern wird wie andere tunesische Musiker.

In der Zwischenzeit hattet Ihr die ersten Wahlen, bei der die islamistische Partei Ennahda von Rachid al-Ghannouchi, der zwei Jahre in London im Exil war und nach Tunesien zurückkehrte, als Euer langjähriger Präsident Zine el-Abidine Ben Ali von seinen Ämtern zurücktrat, mehr als 40 Prozent der Stimmen bekommen hat. Mittlerweile gibt es einige Stimmen, die befürchten, daß als Konsequenz des Arabischen Frühlings in vielen Ländern radikale Islamisten an die Macht kommen könnten.
Wie seht Ihr diesen Sachverhalt? Wie stuft Ihr die islamistische Ennahda-Partei ein?

Elyes Bouchoucha: Nun ja, das ist natürlich die Kehrseite der Demokratie, daß der Großteil der Wähler sich einer extremistischen Partei anschließen kann. Wir sind auf alle Fälle nicht besorgt, daß die islamistische Partei die Wahl gewonnen hat, weil sie nicht genügend Sitze haben, um allein zu regieren. Also müssen sie eine Koalition mit demokratischen Parteien eingehen, um eine Regierung stellen zu können. Das dürfte wohl der Hauptgrund sein, weshalb sie sich weitgehend zurückgehalten haben und sich zumindest öffentlich sehr gemäßigt äußern. Zudem sollte man bedenken, daß eine islamistische Partei an der Macht nicht automatisch mit Extremismus gleichzusetzen ist, wie man an der Türkei sieht.
Die islamistische Partei gewann also 40 Prozent der Stimmen, aber 60 Prozent gingen an demokratische Parteien. Zudem lag die Wahlbeteiligung nur bei 52 Prozent, was bedeutet, daß 48 Prozent der Bevölkerung nicht wählen gegangen sind, was auf die Propaganda und die unlauteren Machenschaften seitens der islamistischen Partei zurückzuführen sein könnte.
In etwa einem Jahr wird es neue Wahlen geben, und ich bin mir sicher, daß die islamistische Partei verlieren wird, weil die Menschen schon bald herausfinden werden, wie sie mit Lügen und leeren Versprechungen mehr als eine Million Wähler eingelullt haben.
Man sollte bedenken, daß Tunesien immer ein friedliebendes Touristenland gewesen ist und das auch bleiben wird, so daß die meisten Tunesier sehr demokratisch eingestellt sind und anderen Kulturen gegenüber sehr offen sind. Sie werden niemals ein islamistisches Regime dulden, sondern vielmehr eine neue Revolution beginnen, wenn dies nötig sein sollte.

Welche Chancen gebt Ihr der Demokratie in Eurer Heimat, denn Demokratie ist etwas, mit dem die Menschen umgehen lernen müssen. Wenn man einen Blick auf die deutsche Geschichte wirft, führte die erste demokratische Phase, die Weimarer Republik, dazu, daß Adolf Hitler und seine Naziverbrecher die Macht an sich rissen. Deswegen sagt man oft, daß die Weimarer Republik eine "Demokratie ohne Demokraten" war. Wie seht Ihr den Demokratisierungsprozeß in Tunesien?

Zaher Zorgati: Ich kann Bedenken seitens des Westen durchaus verstehen, aber was beispielsweise im Iran passiert ist, wird in Tunesien niemals passieren, weil ein Großteil der Menschen hier weltoffen und keine religiösen Fanatiker sind. Zudem ist Tunesien ein kleines Land, das quasi keine natürlichen Ressourcen hat, so daß wir sehr vom Tourismus abhängig sind. Wenn also die Touristen Tunesien boykottieren würden, gäbe es eine riesige Wirtschaftskrise, die zu einem neuen Aufstand führen würde.
Letztendlich kommt es den meisten Tunesiern darauf an, daß sie einen Job haben und daß es ihnen gut geht. Wenn dies nicht der Fall ist, dann werden sie die Regierung zu Fall bringen. Genauer gesagt gibt es seit dem Wahlsieg von Ennahda schon eine Menge Streiks und Demonstrationen.
Die momentane Regierung wird etwa ein Jahr an der Macht sein, jene Zeit, die notwendig ist, um eine neue Verfassung auszuarbeiten. Dann werden die Wahlen abgehalten, die am wichtigsten sind, in denen ein Parlament sowie der Präsident für die nächsten fünf Jahre gewählt wird. Ich bin mir sicher, daß Ennahda diese Wahl nicht gewinnen wird - vor allem wenn das Problem der Wirtschaftskrise in Tunesien ungelöst bleibt.

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Seht Ihr Euch selbst als eine Art von Botschafter für das "neue" Tunesien?

Malek Ben Arbia: Wir denken schon, ganz einfach weil MYRATH die einzige tunesische Band ist, die bei einem internationalen Label unter Vertrag steht und es geschafft hat, weltweit Aufmerksamkeit und Respekt zu erhalten. Wir werden oftmals als der "Stolz des Arab-Metal" bezeichnet.

Wie wichtig ist Religion für Euch? 98 Prozent der Bevölkerung Tunesiens sind Muslime, und Islam ist die Staatsreligion. Praktiziert Ihr Euren Glauben?

Anis Jouini: Ja, wir sind alle Moslems, und wir sind stolz auf unsere Religion, genauso wie es andere Menschen auf der Welt auf ihren Glauben sind. Wir sind sehr gemäßigte Moslems und weit davon entfernt, religiöse Fanatiker zu sein. Wir respektieren unsere Religion, aber wir üben sie nicht vollständig aus; so gehen wir beispielsweise nicht in die Moschee.
Wir glauben, daß Religion eine persönliche Angelegenheit sein sollte, und wir respektieren den Glauben anderer Menschen. Letzten Endes erben die meisten Menschen ihre Religion doch von ihren Eltern und vom Land, in dem sie geboren wurden.

Ihr geht in wenigen Tagen mit ORPHANED LAND auf Tour, so daß ich mal vermute, daß Ihr als arabische Band - im Gegensatz zu MASSIVE SCAR ERA - keine Vorbehalte gegenüber einer jüdischen Band habt. Liege ich da richtig?

Zaher Zorgati: Die Tour wurde von K-PRODUCTION aus Frankreich organisiert, die uns die Chance gaben, Teil dieser Oriental Metal-Tour mit ORPHANED LAND und ARKAN zu sein, die wir natürlich nicht ablehnen konnten, da wir immer noch eine aufstrebende Band sind, die nicht allzu viele Tourmöglichkeiten hat. Soweit es mich betrifft, bringt Musik die Menschen zusammen, ungeachtet ihres ethnischen Hintergrundes oder ihrer Religion. Sie bringt eine Botschaft der Liebe und des Friedens zu allen Nationen. Die meisten Metalbands und Metalheads teilen die gleiche Leidenschaft und die gleichen Werte. Sie ähneln sich, ganz egal, woher sie kommen oder welche Religion sie haben.

So in etwa lautet ja auch die Botschaft von ORPHANED LAND, die nicht nur in musikalischer Hinsicht ein tolles Album gemacht haben, sondern sich auch für die Aussöhnung zwischen den großen Weltreligionen einsetzen.

Elyes Bouchoucha: ORPHANED LAND sind in der Tat eine großartige Band, und es besteht kein Zweifel, daß sie dem orientalischen Metal eine Menge Beachtung beschert haben. Sie stehen für Friede und Liebe zwischen allen Nationen, was ein Grund sein dürfte, daß sie auch bei arabischen Metallern sehr populär sind.

Welche Erwartungen habt Ihr an die Tour mit ORPHANED LAND, die wohl Eure erste große Tour sein dürfte? (Anmerkung: Das Interview fand kurz vor besagter Tour statt. - Red.)

Zaher Zorgati: Richtig, es ist unsere erste große Tour, und wir freuen uns darauf, unseren Bekanntheitsgrad und unsere Fangemeinde auszubauen. Wir hoffen, daß wir das Herz und die Seele vieler Fans in Europa gewinnen können, und daß wir das Interesse vieler Festivalmacher und Bookingagenturen erregen können.
Wir sind sicher, daß viele unsere Musik lieben und erkennen werden, daß Araber so gute Musiker sein können wie die Musiker in westlichen Bands. Dann werden sie nämlich bei Arabern nicht mehr automatisch an Terroristen denken, sondern an normale Menschen, die Metal auf höchstem Niveau spielen können.

Wie seht Ihr die Chancen für die Musik, die man unter dem Begriff "Oriental Metal" zusammenfassen kann? Denkt Ihr, daß eine solche Band eines Tages mal ein internationaler Superstar werden könnte?

Malek Ben Arbia: Heutzutage gibt es viele qualitativ hochwertige Bands, doch viele klingen sehr ähnlich. Daher hoffen wir, daß der Oriental Metal früher oder später die Aufmerksamkeit erhalten wird, die er verdient. ORPHANED LAND sind bereits sehr bekannt, aber wir denken, daß wir unseren eigenen ProgPower-Oriental Metal-Stil kreiert haben, der hoffentlich zu einem Markenzeichen in der internationalen Szene werden kann.

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Ihr habt »Hope« in Tunesien aufgenommen, während die Aufnahmen für »Tales Of The Sand« und »Desert Call« in Frankreich stattfanden und fürs Mastering einmal ein deutsches und einmal ein finnisches Studio zum Einsatz kam. Wie ist es denn um Studios in Tunisien bestellt? Gibt es für die dortigen Bands Möglichkeiten, ordentliche Aufnahmen anzufertigen?

Anis Jouini: Ja, es gibt einige Studios in Tunesien, aber es gibt nicht genügend Tontechniker, die Metal vernünftig aufnehmen können, da sie nur Erfahrungen mit orientalischer und traditioneller tunesischer Musik haben. Die meisten Bands aus unserer Heimat nehmen entweder auf eigene Faust auf oder nehmen die Dienste der wenige Sound Engineers mit metallischer Erfahrung in Anspruch.

Wie schwer haben es Metalbands in Eurer Heimat? Wie steht es um Proberäume oder Liveclubs?

Elyes Bouchoucha: Der tunesischen Metalszene fehlt es leider an der grundlegenden Infrastruktur, was schon bei Proberäumen und passenden Liveclubs anfängt. Es gibt ein paar Venues mit einer Kapazität zwischen 300 und 600, die alle zwei oder drei Monate ein Metalkonzert veranstalten, aber alle Konzerte werden von den Bands selbst organisiert. Manche Konzerte werden sogar an Universitäten veranstaltet, da die meisten Musiker zugleich Studenten sind. An Anfang unserer Karriere konnten wir vielleicht fünf- oder sechsmal im Jahr hier in Tunesien spielen, aber seit wir etwas internationale Aufmerksamkeit erhalten haben, spielen wir eigentlich nur noch beim "Mediterranean Guitar Festival", das einmal jährlich stattfindet. Die anderen Veranstalter können mittlerweile einfach keine angemessene Backline, Sound- und Lichtsystem anbieten - von einer Gage ganz zu schweigen.

Wie ist denn ansonsten um die Metalszene in Tunesien bestellt? Gibt es viele Metalheads? Wie oft treten ausländische Bands bei Euch auf? Wie sieht es mit Plattenläden aus, die Metalscheiben führen? Gibt es Presse, die sich um Metal kümmert?

Malek Ben Arbia: Die tunesische Metalszene befindet sich immer noch stark im Underground, wie es auch für andere nordafrikanische Länder wie Marokko oder Algerien gilt, aber es gibt viele Bands und Tausende Metaller.
Wie zuvor schon gesagt, ist Tunesien ein friedliebendes Land mit deutlichem Augenmerk auf den Tourismus, das anderen Kulturen gegenüber sehr offen ist. Aus diesem Grund gibt es beispielsweise eine wöchentliche Metalshow im staatlichen Radio, und wir haben hier in der Hauptstadt Tunis das "Mediterranean Guitar Festival", bei dem in den letzten Jahren schon viele berühmte Künstler wie Robert Plant, SYMPHONY X, ADAGIO, EPICA, FIREWIND, AFTER FOREVER oder HAGGARD gespielt haben. Zudem haben wir einige sehr aktive Fanzines hier, die die tunesische Szene unterstützen, aber auch von internationalen Bands berichten.
Allerdings sind wir die erste Band, die es geschafft hat, bei einem ausländischen Label zu landen. Das ist für tunesische Bands schwer, da es ebenso an Labels, Produzenten und Promotern fehlt wie an der Unterstützung von Sponsoren und der hiesigen Mainstream-Medien.

Wie wichtig sind für den Aufstieg einer Band wie Euch solche Social Media-Plattformen wie MySpace (in diesem Fall müssen wir mittlerweile wohl eher "war" sagen...) oder Facebook?

Anis Jouini: Heutzutage ist Facebook sehr wichtig, um eine Band wie uns zu promoten. Ich glaube, daß wir dank Netzwerken wie Facebook eine Menge Fans bekommen haben. Ohne das Internet hätten MYRATH niemals diesen Bekanntheitsgrad erlangt, und ich schätze mal, daß wir dann auch nicht dieses Interview führen würden.

http://www.myrath.com/

Vorbereitung, Interview & Bearbeitung:
Stefan Glas

Photos: Nidhal Marzouk

MYRATH-Design

 

MYRATH (vorhergehende Besetzung) im Überblick:
MYRATH – Desert Call (Rundling-Review von 2010 aus Online Empire 44)
MYRATH – Hope (Rundling-Review von 2007 aus Online Empire 32)
MYRATH – Legacy (Rundling-Review von 2016 aus Online Empire 69)
MYRATH – Tales Of The Sands (Rundling-Review von 2012 aus Online Empire 50)
MYRATH – Heavy 138-Interview (aus dem Jahr 2011)
MYRATH – Online Empire 51-Interview (aus dem Jahr 2012)
MYRATH – Online Empire 83-Special (aus dem Jahr 2020)
MYRATH – News vom 22.12.2011
Soundcheck: MYRATH-Album »Desert Call« im "Soundcheck Heavy 129" auf Platz 31
Soundcheck: MYRATH-Album »Tales Of The Sands« im "Soundcheck Heavy 137" auf Platz 25
Playlist: MYRATH-Album »Tales Of The Sands« in "Jahrescharts 2011" auf Platz 7 von Stefan Glas
Playlist: MYRATH-Liveshow München, Backstage (Club) 25.09.2016 in "Jahrescharts 2016" auf Platz 2 von Gerald Mittinger
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